Je mehr ich mich im Laufe der Zeit mit der Pferdezucht beschäftigt habe, um so häufiger kam die Frage auf:
Wie kann es sein dass manche Hengste oft verschrieen, und dann aber
andernorts als Heroen gefeiert werden?
Es muss an dem spezifischen Einsatz in bestimmten Zuchtgebieten liegen die dem
Erbgut des einen hier ein Mekka und dort ein Desaster bescheren.
Ein Hengst kann eben nur so gut oder schlecht - oder besser: negativ oder
positiv verstärkend wirken wie es das Blut auf das er trifft auch zulässt. Dabei
ist des einen Freud durchaus des anderen Leid und umgekehrt.
Stellvertretend für sicherlich viele oft verkannte Zuchthengste sei dies hier
am Beispiel des Coriall (Holst.) näher erläutert.
Nachdem ich selber für meine Verhältnisse recht grosse Erfolge mit meinem
Shannon feiern durfte fing ich an zu recherchieren - wer ist Coriall und was hat
er eigentlich bewirkt und wieso ist er nach nur zweijährigem Deckeinsatz aus
Holstein verschwunden?
Nun, die letzte Frage ist einfach zu beantworten:
er hatte die falsche Farbe.
Als Fuchs (wenn auch dunkel) war er in Holstein seinerzeit einfach
nicht am rechten Platz. So verschwand er bald in Richtung Belgien in das kleine
Land der grossen Z-Pferde. Dort wirkte er einige Zeit bevor er weiter nach
Südamerika wanderte wo er auf intl Niveau auch sportlich von sich reden machte.
Inzwischen wuchsen die ersten (wenigen) Kinder aus seinem kurzen holsteinischen
Deckeinsatz heran und machten durchaus von sich reden, immerhin
verzeichnet das FN Jahrbuch 2004 aus nur 40 seiner im Sport eingesetzten Kinder
allein acht mit einer JGS von über € 1.000, die gesamte Gewinnsumme seiner
Nachkommen dürfte sich inzwischen über € 400tsd belaufen.
So gab es in Westfalen seinen Sohn Coriallo der unter Petra Epping dressurmässig
bis GP gefördert wurde.
Albert Voorn brachte die quirlige Tnello Corona in den grossen Sport die später
unter Peter Wylde erfolgreich war.
Die bekannteste Coriallo-tochter dürfte aber wohl Candy sein, zunächst unter
Stefan Abt, heuer unter Alois Pollmann-Schweckhorst beständiger Erfolgslieferant
in intl Springen und Championaten.
Die wertvollste Hilfe bei meiner Recherche lieferten mir die ausführlichen
Dokumentationen des Otmar Beyer de Béhaux die
ich an dieser Stelle allen interessierten zuchtbegeisterten Pferdefreunden nur
wärmstens ans Herz legen möchte. Hier war es insbesondere der Artikel
Vollblüter aus
der Fundgrube der bis heute zu meiner Bibel geworden ist. So scheint es im
Falle des Coriall die zufällige und doch im nachhinein so grossartige Anpaarung
zweier bedeutender Holsteiner Edelblutlinien (Sacramento Song xx und Cottage Son
xx als Urgrossvater des legendären Capitol) gewesen zu sein die - kaum gewonnen
und erkannt so auch wieder zeronnen weil verkannt - durchaus mehr Aufmerksamkeit
und Zuspruch verdient hätte.
Freunde und auch Zweifeler der heute so allgegenwärtigen S-Linie des Sandro finden hier
interessanten Lesestoff zu den Ursprüngen und Einflüssen des alten Sacramento
Song xx-Blutes mit all seinen Vor- und Nachteilen. Heute erlebt diese Linie aus
dem hannoverschen kommend (und hier offensichtlich über das hannoversche G zur
Passerpaarung gereift) insbesondere in Oldenburg über Sandro Hit eine
Renaissance die selbst die Dominanz des Weltmeyerblutes über alle Zuchtgebiete
hinweg noch in den Schatten zu stellen droht. Kunststück, ist Sandro Hit doch
reinerbig dunkel und liegt damit voll im Modetrend der Zeit. Doch wissen die
modebewussten Trendrenner eigentlich was sie da kaufen? Mitnichten handelt es
sich bei diesen lackschwarzen Pferdchen um eine eigens fürs Viereck geschaffene
Blutlinie die über genetisch konsolidierte Dressurgene im eigentlichsten Sinne
verfügt. Lediglich die zu Hauf gezielte Anpaarung dieses Blutes an
dressurorientierte Stämme dürfte hier wohl in der Masse den Ausschlag geben.
Sandro Hit und die Geschichte des ureigentlich springbetonten holsteiner
S-Blutes - eine lesenswerte Lektüre für jeden sportorientierten Züchter.
Der Vollblüter aus der Fundgrube
© Otmar Beyer de Béhaux
" Vollblut ist der Saft,
der Leistung schafft ", wobei man mir die Verdrehung verzeihe. Leider ist
dies aber nicht immer der Fall. Wenn man ehrlich ist, muß man sogar
zugeben, daß die meisten Vollblutveredler sogar negative Auswirkungen
hatten. Dies ist ein Grund mehr, diejenigen, die eine positive Vererbung
zeigen zu hegen und zu pflegen, sogar noch nach ihrem Abtreten von der
Bühne.
Die Holsteiner scheinen sich jetzt darauf zu besinnen, daß sie neben den beiden hochgelobten Veredlern der 70iger Jahre, Ladykiller und Marlon, noch eine ganze Reihe anderer Vollblüter in Diensten hatten, die man auch nicht vergessen sollte. Leistungsmäßig ragt unter diesen Sacramento Song hervor, der aber leider nur als Privathengst in Holsein stand, anderenfalls er sicher an Bedeutung hinter seinen berühmten Kollegen nicht zurückgestanden hätte. Damals war ein Statut ‘Privathengst’ fast noch gleichbedeutend mit einer sehr geringen Benutzung. Sacramento Song, angekauft in England, brachte jedoch in der Vererbung nicht die mittelmäßige Perfektion, die von allen Hengsten erwartet wird. Er machte etwas viel Temperament, viel (zuviel ?) Springvermögen, manchmal auch viel Charakter und oft wenig Grundgangarten. Dazu war die Rittigkeit nicht die beste, wobei dies aber nur teilweise an Maulschwierigkeiten lag, sondern wahrscheinlich noch mehr an der Angst der Reiter vor hitzigen Pferden. Sacramento Song deckte von 1973 bis 1979, als er 22 jährig starb. Er hinterließ der Holsteiner Zucht leider noch nicht einmal 100 eingetragene Stuten. Obwohl er gerne an die schweren Stuten alter Holsteiner Abstammung angepaart wurde, entsprachen seine Nachkommen dem gewünschten, also stark veredelten, Typ des modernen Reitpferdes. Als dann nach Jahren die hervorragende Leistungsvererbung erkannt wurde, wurde einer seiner Söhne, Sympatico, 1986 gekört, starb aber noch am Ende seiner ersten Decksaison. Vor einigen Jahen wurden dann nacheindander zwei weitere Söhne gekört, übrigens über die Leistung genau wie ihr Halbbruder. Von diesen ist der ebenfalls holsteinisch gezogene Sacramento Son leider auch schon unter der Erde und es bleibt der teilweise hannoveranisch gezogene Sandro, dessen Vererbung aber, zumindest typmäßig, nicht den Erwartungen der Holsteiner Züchter entspricht. Da im Mannestamm also kaum noch etwas zu erwarten ist, scheint man sich jetzt verstärkt den Stuten zuzuwenden. Schon Ende der 80iger Jahre wurden die beiden Vollbrüder Lavall I und II, von Landgraf aus einer Sacramento Song-Wahnfried-Mutter (also Dreiviertelschwester zu Sandro, jedoch aus altem Holsteiner Geschlecht), angekört. Es folgten ein Capitol-Sohn mit einer Bilderbuchabstammung, Sacramento Song-Cottage Son, im Habitus des Vaters und ein ebenfalls erstklassig gezogener Corde-Sohn (aus einer Stute Capitol-Sacramento Song), der leider ein Fuchs ist und deswegen, trotz weit überdurchschnittlicher Vererbung, nach Belgien (ja, ja, wir wissen wo er steht ...) abgegeben wurde. Letzter im Bunde ist der 1990 geborene Schimmelhengst Campesino, von Capitol aus einer Sacramento Song-Tin Rod-Korenbleem-Mutter. Über die Vererbung dieser Hengste läßt sich leider noch nicht viel sagen, außer daß die beiden Lavalls sicher zu den besseren Landgraf-Söhnen gehören und Coriall weg vom Fenster (aber vielleicht haben die Holsteiner ja jetzt mehr Glück als 1970 ... und der Hengst kommt wieder zurück) ist. Campesino hat gerade erst seinen ersten Fohlenjahrgang gezeigt. Campione hat jedoch voll eingeschlagen und gehört sicher zu den Spitzenvererbern der Zukunft, falls die Leistungsvererbung auch nur in etwa der Exterieurvererbung entspricht. Seine ersten Fohlen sind ja gerade erst zweijährig. Man sieht, die Zuchtleitung versucht die Fehler der Vergangenheit (keiner ist ja unfehlbar) auszumerzen. Doch damit noch nicht genug. Schaut man sich die Abstammungen der Staatsprämienstuten 1994 an, dann fällt auf, daß Sacramento Song xx zu den meistgeführten Vollblütern zählt. Trotz der manchmal nicht idealen Vererbung dieses sicher hochinteressanten Hengstes haben es die Holsteiner Züchter geschafft, seine typischen Fehler aus der Nachkommenschaft auszumerzen. Es fehlt jetzt nur noch ein Mann (oder eine Frau), mit genug Mumm in den Knochen, Urteilsvermögen sowie Pferdeverstand, der eine Inzucht auf Sacramento Song versucht. Der Hengst selbst hat sicher die Qualität dazu, jdoch darf man natürlich nicht die Augen vor den Fehlern verschließen. Dies heißt, daß die Rittigkeitsprobleme, sowie die mangelnden Grundgangarten ausbalanciert werden müssen. Aber dies muß ja nicht in einem Schritt erfolgen. Mehrere kleine tun es ja auch ! Und Vererber, die diese Qualitäten mitgeben, gibt es ja in Holstein genug, man denke an Calypso I (der ja jede Menge ganggewaltiger Töchter hat), vielleicht ist er ja auch schon ‘mal an eine Sacramento Song-Stute angepaart worden, oder Capitol, der ja beide Fehler korrigieren kann. Wegen der, der Inzucht innewohnenden, Gefahren, sollte jedoch nur ein gestandener Züchter diesen (oder diese) Versuch(e) unternehmen. Vielleicht könnte man so dann ja in einigen Jahren die Hengstlinie wieder ins Leben rufen, wer weiß ? Die Kenner der Holsteiner Zucht werden mit jetzt vorwerfen, daß ich fünf Jahre hinter dem Zuchtgeschehen herlaufe. Die oben schon genannten Hengste mit Sacramento Song im Mutterstamm stammen nämlich schon aus einer Epoche, als Sacramento Song " Modehengst " war. Diese Züchter sollten aber bedenken, daß :
Moden bestimmen die Zucht ! So gab es eine Mode Cor de la Bryere, dann eine Mode Ladykiller. Und Moden kommen immer wieder, wenn auch mehr oder weniger leicht verändert. So sollte man auch heute einer Wiederentdeckung Sacramento Song’s sicher nicht die alten Argumente entgegenstellen, denn die Situtation ist heute sicher eine andere wie damals. Das Vollblut ist wieder im Vormarsch, die Cor de la Bryere-Linie hat mit Calypso I einen ihrer Hauptträger verloren. Ähnliches gilt für Lord und die Linie des Ladykillers und das totale Abtreten Landgraf’s von der Zuchtbühne kann nur noch eine kurze Frage der Zeit sein. Auch der letzte sichere Vertreter der Cottage Son-Linie, Capitol, verliert an Boden. Zur Zeit sieht es sogar nach totalem Ausscheiden aus der Zucht aus. Wo liegen dann die neuen Zuchttendenzen ? Diese nur in Fortführung der letzten Jahre zu suchen wird sicher keinen Fortschritt bringen. Die Holsteiner Zucht ist stark auf Springen ausgerichtet. Obwohl mit stark überdurchschnittlicher Leistungsvererbung ist Marlon dieser monopolisierung schon zum Opfer gefallen, da seine Stärke auf der Dressur lag. Weiterhin ist Sacramento Song der, zumindest von der Leistungsvererbung her, beste Vollblüter, der je in Holstein aufgestellt war. Man kann ihn nicht so einfach vergessen. Seine relativ geringe Bedeutung liegt daran, daß ihm als Privathengst nicht nur wenige, sondern auch qualitätsmäßig unterschiedliche, unterdurchschnittliche Stuten zugeführt wurden. Seine Bedeutung muß deswegen nur noch höher eingeschätzt werden. Dieser Tatsache muß Rechnung getragen werden und ein junger, nicht mit den Vorurteilen seiner alten Kollegen, belasteter Züchter sollte (muß unbedingt) hier auf die Hilfe einer aufgeschloßenen Zuchtleitung zählen können. |
Hier ein Auszug über Sandro aus Eylers Hengstregister 1992/93 - also von weit
vor der Zeit als man begann in dieser Linie vornehmlich schwarze Dressurpferde
zu sehen:
"Abstammung:
Sacramento Song xx wirkte sieben Deckzeiten als Privathengst in Holstein, wurde
aber leider züchterisch nicht genügend genutzt, denn aus heutiger Sicht muß er
wohl als einer der besten Springpferdevererber Holsteins seit dem Kriege
angesehen werden. Trotz zahlenmäßig begrenzter Nachkommenschaft waren für ihn 40
Springpferde erfolgreich bis zur schweren Klasse, darunter Ausnahmepferde wie
Société (D. Hafemeister, N. Pessoa), San Siro (G. Müller, Lebensgewinnsumme über
30.000 DM) oder eben Sandro (F. Sloothaak, Lebensgewinnsumme über 50.000 DM).
Der Inhaber des Hochsprung-Weltrekordes Leonardo (1991 in Paris über 2.35 m)
führt Sacramento Song xx als Muttervater. Sandros Vollbruder Salvador 51 war
ebenfalls ein sehr gutes Springpferd mit einer Lebensgewinnsumme von rd. 7.800
DM. Vater der Mutter ist der überragende Springpferdemacher Wahnfried, dessen
bekanntester Nachkomme zweifellos der großartige Sb-Spezialist Wabbs (W.
Mehlkopf, Lebensgewinnsumme über 350.000 DM) ist - und dieser Wabbs ist ein
direkter Vollbruder zu Sandros Mutter Duerte.
Eigenleistung:
Sandro ging als junges Pferd nach Dänemark, wo er auch als Deckhengst eingesetzt
wurde. 1985 nach Deutschland zurückgekehrt, holte er über DM 50.000 an
Gewinngeldern in S-Springen unter F. Sloothaak. Nebenbei war er per
Frischsamenübertragung Beschäler auf dem Schockemöhle-Gestüt Calveslage.
Vererbung:
In Dänemark hinterließ Sandro mit Oxenholm Pioneer einen ausgesprochen typvollen
Beschälersohn. In Oldenburg konnten aus seinen ersten Fohlenjahrgängen gleich
acht Junghengste gekört werden, darunter 1989 der Prämienhengst Sao Paulo (LdB
Celle) und 1990 der Siegerhengst Sandro Song. 1990 durchliefen vier seiner Söhne
die Hengstleistungsprüfung in Adelheidsdorf, alle erzielten ein Gesamtergebnis
von über 100 Punkten, drei mit einem Springindex von mehr als 120 (Silvio,
S.304, sogar mit 138 Zählern) und alle mit überdurchschnittlichem
Rittigkeitsindex."
Nicht nur im Hinblick auf holsteinische
Blutführung sondern insbesondere auf den grossen Einfluss von Edelblut insgesamt
auf die heute in Europa sporterfolgreichen Zuchtgebiete bieten die Seiten von
Herrn Béhaux aussagekräftige Informationen. Bitte nicht von der
französischsprachigen Titelseite abschrecken lassen, die meisten Seiten sind auf deutsch unter "documents
ecrit" zu finden.
Um nun die Geheimnisse und Wirrungen der Sandroschen und Coriallschen Werdegänge zu begreifen empfehle ich jedem Interessierten ein Glässchen Wein oder auch ein Fläschchen Bier, je nach Gusto, um dann bitte hier weiterzulesen...
viel Vergnügen!
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Im März 2010 erschien im
hannoverschen Verbandsmagazin "Der Hannoveraner" ein Bericht von Dr. Ludwig
Christmann zum Thema "Aktuelle Zuchtstrategie" - im wesentlichen geht es hierbei
um den Einsatz von Springpferden in der Dressurpferdezucht.
Der folgende Artikel ist mein Leserbrief an den Hannoveraner zu diesem Thema.
Die Thematik ist brandaktuell und liegt mir seit langem am Herzen.
Als Treppenwitz der Geschichte betrachte ich die Tatsache, dass ich einige der
von mir hier angeführten Argumente bereits im Jahr 2005 auf dieser Seite mit dem
Titel "Die etwas andere Geschichte des Sandro Hit" zu Papier gebracht habe. Nur
dass ich mir damals der Tragweite meiner Ausführungen bei weitem nicht bewusst
war. Umso mehr erscheint mir die Platzierung meines aktuellen Artikels mit dem
bewusst provokativ gewählten Titel "Warum Dressurpferde doch nur Abfallprodukte
im Sinne der Genetik sind" an dieser Stelle bestens aufgehoben. Viel Spass beim
Lesen und gern auch auf eine konstruktive Diskussion zu dem Thema!
Um die Notwendigkeit des Einsatzes von Springpferden in der
Dressurpferdezucht - oder warum Dressurpferde doch nur "Abfallprodukte" im Sinne
der Genetik sind
Ich habe mich sehr gefreut, dieses Thema im aktuellen Hannoveraner von Dr.
Christmann als „Aktuelle Zuchtstrategie“ einmal so aufgegriffen zu sehen.
Thematik und Erkenntnis sind nicht neu, aber aus zwei Gründen derzeit dringend
wichtig, laut diskutiert zu werden:
1. aufgrund des schnöden Mammons sind in den letzten zwanzig Jahren viel zu
viele gute Springstämme mit Dressuranpaarungen verdorben worden, nur weil man
Dressurfohlen heutzutage eben besser verkaufen kann. Die breite Züchterschaft
muss begreifen, dass soetwas i.S. der zugrunde liegenden Population
kontraproduktiv ist.
2. der "Schock" um den Verlust der traditionellen Vormachtstellung der deutschen
Pferdezucht und die Erkenntnis, dass die Niederländer hier plötzlich die Pole
Position einnehmen, bietet die allerbeste Voraussetzung dieses Thema
brandaktuell zu diskutieren:
weil die Holländer nämlich nicht etwa das Rad neu erfunden haben sondern
schlicht genau das tun, was in dem Artikel von Dr. Christmann beschrieben wird:
Dressurpferde aus reichlich Springgenetik züchten.
Dr. Christmann schreibt treffend, das Prinzip der Spezialisierung funktioniere
bei den Springpferden sehr gut, bei den Dressurpferden müsse dies jedoch
differenzierter gesehen werden. Ich möchte behaupten, ganz besonders „diffizil“
wird das Thema, wenn es sich bei der in Frage stehenden Population darüber
hinaus um ein weniger „offenes“ (wie es Hannover vor nicht all zu langer Zeit
auch einmal war, und das war sicher keine schlechte Zeit i.S. des genetischen
Reinerhalts der Qualität ... ) oder gar geschlossenes Zuchtbuch handelt – und
wer sich dann nicht auch der „Spezialzucht Springpferde“ verschrieben hat, wird
kaum in der Lage sein, je eine bedeutungsvolle, weil „sich selbst befruchtende“
Dressurpferdezucht auf die Beine zu stellen.
Grundlage muss ein Genpool sein, der beispielsweise dafür sorgt, daß in Holstein
Dressurpferde von mitunter Weltformat immer mal wieder als "Abfallprodukt"
anfallen, weil Dressurpferde (genetisch besehen, aufgrund der Vielfalt der
verschiedenen Merkmale, die ein Dressurpferd überhaupt erst ausmachen)
genaugenommen tatsächlich "Abfallprodukte" sind. Wem diese Bezeichnung zu hart
erscheint der möge sie im Sinne der Diskussion getrost durch "Zufallsprodukt"
ersetzen.
Die Dynamik über einen tragfähigen Rücken gegeben aus einem kraftvollen Abdruck
des Hinterbeins, die wir uns von dem perfekten Dressurpferd wünschen, lassen
sich über reine Dressurlinien schlicht nicht ausbauen oder gar konsolidieren -
die Pferde verlieren in Reinzucht über Generationen an Dynamik und Abdruck. Dr.
Christmann bedient sich in seinem Artikel der vorsichtigeren Umschreibung von
dem „Eindruck, dass durch die Aneinanderreihung von deutlich einseitig
veranlagten Dressurhengsten Athletik verloren geht“. Gemeint hat er sicher das
selbe. Und ich denke diese Erkenntnis hat klare Worte verdient. Es wird höchste
Zeit für eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema!
Es handelt sich letztendlich um eine Erkenntnis, die auch andere Verbände
schmerzhaft erfahren durften und die gerade heute -angesichts des kometenhaftes
Aufstieges unseres holländischen Nachbarzuchtgebietes- aufs schärfste deutlich
wird.
Die einzigen, die nicht darunter zu leiden haben, sind tatsächlich die
Holsteiner, denn dort hat man sich von jeher zur Spezialspringzucht bekannt und
damit die Welt erobert. Dressurpferde „fallen“ dort mitunter „ab“. Im wahrsten
Sinne des Wortes.
Oldenburg und Hannover haben bei Zeiten versucht, mit Hilfe ihres OS und
Springpferdeprogrammes gegenzusteuern, bevor das spezialisierte Springgen
gänzlich verwässert wird und damit unwiederbringlich verloren geht. Wie Dr.
Christmann treffend anmerkt ist es bei der Zucht von Dressurpferden „erfolgsversprechend“,
Springgene zu berücksichtigen. Ein wenig schärfer hätte er es ruhig formulieren
dürfen, „erfolgsversprechend“ darf man inzwischen getrost durch „zwingend
notwendig“ ersetzen. Und wer sich dazu nicht auch eines unverwässerten Pools von
über Generationen rein erhaltenen Springgenen aus der eigenen Population
bedienen kann, wird langfristig das Nachsehen haben oder sich zwingend des
Outcross' aus anderen Populationen bedienen müssen. Wohl den Verbänden, die
reine Springpferdeprogramme pflegen.
Es handelt sich exakt um die selbe Problematik, die auch bereits ein Burkhard
Wahler in seiner lesenswerten Weihnachtspost zum Jahreswechsel seinen Züchtern
zum Nachdenken ans Herz gelegt hat – s.
Züchterbrief
„Der Motor sitzt hinten!“ www.klosterhof-medingen.de
„Vor ca. 20 Jahren wurde die Spezialisierung der Zucht auf Dressur oder Springen
propagiert und in den folgenden Jahren in die Tat umgesetzt. In der
Springpferdezucht konnten große Fortschritte gemacht werden, da die Selektion
auf ein einziges Merkmal -nämlich Springen- eine wesentlich höhere Heritabilität
hat, als die Selektion in der Dressur mit vielen verschiedenen Merkmalen. Die
Dressurpferdezucht hingegen leidet unter dem Verzicht auf Anpaarungen mit dem
kraftvollen, leistungsgeprägten Springblut und konnte sich nicht entsprechend
weiterentwickeln. Wir haben heute bei den Dressurpferden häufig das Problem
eines matten Rückens und eines schleppenden, kraftlosen Hinterbeines. Vorne hui
- hinten pfui. "
Klarer kann man es sicher nicht formulieren.
Und klare Worte sind sicher notwendig.
Die Hohensteine und Weltmeyers und Donnerhalls und Rubinsteine dieser Welt
laufen sich über Genrationen einfach matt (in Dr. Christmanns Worten: „es geht
an Athletik verloren“). Exakt der Grund, weshalb gerade in dieser Zeit ein
Sandro Hit die Dressurpferdezucht der Gegenwart überhaupt so erschreckend zu
revolutionieren im Stande war - bei allen Vorbehalten, die man sonst gegenüber
diesem Hengst haben darf. Nichtsdestotrotz hat er den kultivierten Dressurgenen
der Hochzuchtgebiete in ihrer Mattigkeitsphase (die letzten 3 bis 5 Generationen
der spezialisierten Dressurpferdezucht eben, seit die Hohensteine und Weltmeyers
flächendeckend an die Donnerhalls und Rubinsteine in Reinzucht aneinander
angepaart wurden) den nötigen Spritzer Dynamik wieder unters Fahrwerk
zurückgezaubert. Man kann diesem Hengst seine Berechtigung anerkennen oder
absprechen, er polarisiert nicht ohne Grund. Dennoch liefert er wie kein Zweiter
das perfekte Beispiel, die Problematik zu erklären, einfach weil er so
flächendeckend wie kein anderer Hengst der Neuzeit Einfluss genommen hat.
Sacramento Song über Sandro, Ramino und Welt As stehen als Beispiel für andere
Hengste eigentlicher Springgenetik, die flächenmässig weit weniger, aber eben
doch deutlich mit dem selben Einfluss auf die Dressurpferdezucht gewirkt haben:
Calypso II
In Hannover und bedingt in Oldenburg einer der bewährtesten Dynamiklieferanten
in Dressurpedigrees - ähnlich "funktionieren" heute ein Contender/Contendro/Conteur
- alle nach dem selben Muster gezogen und dem Papier nach reine Springpferde -
oft die perfekte Beimischung an reine Dressurpferde.
Quattro
Ein Hengst von reinem Springpapier, inzwischen verfügt er über olympische
Nachzucht in beiden Disziplinen und ist ebenso in der nachkommenden Hengstlinie
mittlerweile zweigleisig verankert.
Furioso
Exakt das selbe Muster wie Quattro, nur inzwischen weiter zurückliegend und
daher nicht mehr so gegenwärtig.
....und das Paradebeispiel par Excellence:
die komplette holländische Sportpferdezucht der Gegenwart.
Letztendlich handelt es sich hierbei um nichts anderes als eine Mischung aus
holsteinischen, französischen und hannoverschen springgenetischen Ursprüngen,
und was bringt dieses unterliegende Springblut dort heute in Verbindung z.B. mit
Trakehner Genen?
... und man denke dabei nicht nur an einen Totilas.
Wenn man heute hört, die Holländer laufen uns den Rang ab in der
Sportpferdezucht, dann muss die zwingende Erkenntnis lauten:
das liegt an der offensichtlich sinnvoll dort betriebenen Konsolidierung von
Springgenen (man sehe sich die Papiere der Jazz' und Cracks und Ferros dieser
Welt mal etwas genauer an!) die dort immer wieder zur Auffrischung oder gar
Kreation des vermeintlich reinen Dressurblutes genutzt werden.
Offensichtlich mit Erfolg.
Der nicht notwendigerweise duplizierbare Erfolg spektakulärer Bewegungspferde
unserer Zeit suggeriert, dass es sich bei Totilas auch nur um ein
"Abfallprodukt" handelt. Er wird sich kaum in dieser Art duplizieren lassen, und
das sollte man auch gar nicht erst versuchen. Wem der Ausdruck Abfallprodukt in
diesem Zusammenhang zu hart erscheint der möge ihn im Sinne der Diskussion an
dieser Stelle durch „End-“ oder „Zufallsprodukt“ ersetzen. Im Hinblick auf
genetische Greifbarkeit der Vielzahl der zu erfassenden Merkmale sicher eine
ebenso unbefriedigende Bezeichnung, aber sie trifft den Nagel auf den Kopf.
Wesentlich bleibt die Erkenntis, dass es sich bei gelungenen (spektakulären?)
Dressurpferden tatsächlich um Abfall- oder Zufallsprodukte aus miteinander sich
gegenseitig befruchtenden Springgenen handelt, oft wenn diese auf eine sinnvolle
Dressurblutgrundlage treffen. Statt also mit einem Totilas zu züchten sollten
die Züchter lernen, sich das grundlegende Strickmuster dieses Papieres
anzueigenen (wobei Totilas im Sinne der Diskussion nur als Synonym für die
holländische Dressurpferdezucht in der Breite steht und hier lediglich als
Beispiel zu verstehen ist).
Es heisst nicht ohne Grund, aus einem guten Stutenstamm kommen Dressur- und
Springpferde gleichermassen.
Dazu ist es aber zwingend notwendig einen verfügbaren Springblutanteil in der
Population in Reinform sauber zu erhalten.
Es bedarf eines sauberen reinen Genpools von Springgenen (Spezialisierung) aus
denen sich die Dressurzucht dann bedient - nicht umgekehrt.
Ist dieser Spingpool erst verwässert (die Konsolidierung verdorben durch
obenaufgesetzte reine Dressur- oder besser: springtalentFREIE Gene) gibt es auch
nichts mehr, dessen man sich bedienen kann - lethal, insbesondere für
geschlossene oder nur beschränkt offene Zuchtbücher. Der gewünschte vorteilhafte
Outcrosseffekt (und um nichts anderes handelt es sich bei Spezialspringblut) ist
damit unwiderbringlich vernichtet.
Dauerhafter "Zuchtfortschritt" i.S. von Dressurpferd funktioniert eben nicht,
indem man die Weltmeyers und Hohensteine dieser Welt an die Rubinsteine und
Donnerhalls anpaart. Und ich möchte behaupten, ein Sandro Hit hätte nie einen
solchen Einfluss nehmen können, wenn die deutschen Hochzuchtgebiete in ihrer
spezalisierten Dressurpferdezucht der letzten zwanzig Jahre nicht allesamt
gleichzeitig diesen eingleisigen Weg beschritten hätten. Nicht ohne Grund ist
der Einfluss dieses Hengstes im benachbarten Holland geradezu bedeutungslos. Das
sollte uns allen zu denken geben.
Den zwingend nötigen Einfluss eines abdruckstarken Hinterbeins und tragfähigen
Rückens findet man per Definition am ehesten in der spezialisierten
Springpferdezucht. Ob unsere Freunde aus Holland sich dieser Erkenntnis bereits
vor zwanzig Jahren bewusst waren oder ob sie ihren heutige Erfolg in der
Dressurpferdezucht nur dem Prinzip Zufall und weniger bewusster Anpaarung
verdanken, das lassen wir mal dahingestellt. Aber mitunter kommen dann eben auch
solche Bewegungswunder wie ein Totilas dabei raus. Mitnichten wurde damit aber
das Rad neu erfunden. Unsere holländischen Freunde haben lediglich die uns allen
über die selbe Zeitspanne ebenso zur Verfügung stehenden Zutaten offensichtlich
geschmackvoller Springgene in anderer Rezeptur wiederholt zu einem exotisch
anmutenden Menu angereichert – mit dem Ergebnis, daß die ganze Welt heute die
holländische Küche als das Mass der Dinge aller Gaumenfreuden betrachtet.
Dabei hätten wir die Zutaten dazu alle selber im eigenen Vorgarten gehabt.
Sehe ich mir heute auf dem Reitturnier in der Halle Münsterland die Pedigrees
der dortigen Dressurspitzen an, die in der Tat durch Dynamik brillieren (und das
tun weiss Gott nicht alle), dann sind das zur Hälfte Springpedigrees.
zur Hälfte!
Das sollte uns lehren wie nichtig und bedeutungslos reine Dressurpferdezucht (i.S.
von „gezielt“) überhaupt ist. Die gezielte Selektion in der Dressurpferdezucht
führt ob ihrer vielen verschiedenen und genetisch kaum greifbaren Merkmale
nunmal dauerhaft eher in eine Sackgasse.
"Zuchtfortschritt" bedeutet heute kaum noch Weiterentwicklung – denn eine
Weiterentwicklung ist in der heute gegebenen spezialisierten Sportpferdezucht
kaum noch möglich. Unsere Sportpferde sind in den letzten 20 Jahren derart
funktional verbessert worden, dass eine weiterführende Spezialisierung kaum noch
möglich ist.
"Zuchtfortschritt" bedeutet heute in erster Linie den Erhalt der notwendigen
Komponenten (Dynamik und Abdruck) zu konsolidieren.
Sinnvoll zu konsolidieren.
Dazu bedarf es zwingend des Erhaltes eines reinen Springpferdegenpools
ausgesuchter Qualität.
Ganz sicher müssen es nicht die spektakeligen weil gerade vielbesprochenen
Weltmeister der kommenden Neuzeit sein.
Mir persönlich reicht es völlig wenn ich auf meiner Dressurstutengrundlage
hintendrin einen springstarken Vererber von erwiesener Doppelveranlagung weiß
(Frühlingsball) und ab und zu einen ebensolchen (seinerzeit ganz bewusst
Quattro) oben wieder zuführe - Konsolidierung der Stärkegene mittels
ausgewählter Springhengste (potentielle Doppelvererber eben), die dressurmässig
keinen Schaden anrichten. Schaden, den die reinen Dressurheroen der letzten
zwanzig Jahre dauerhaft in jedem Falle anrichten, wenn man sie sich selbst
überlässt oder eben zuoberst auf ein Springpapier packt.
Ein Umdenken ist gar nicht nötig. Es reicht völlig die Züchterschaft dafür zu
sensibilisieren, daß man im Sinne des langfristigen Erhaltes einer
leistungsstarken Sportpferdepopulation Springgene nicht mit Dressurgenen
verwässern darf, sehr wohl aber Dressurgene mit ausgewählten Springgenen
anzureichern sind.
Wohl dem, der seine reinen Springstämme pflegt!
Sabine Brandt,
Münster im März 2010
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