Otik Counter                                           Von Deutschen Meistern und olympischen Gedanken ...

Balve, Grand Prix Special am 2. Juni 2012

Zu Helen und Dami ist alles gesagt, was diese beiden in einem Jahr an Konstanz und Leistungssteigerung vollbracht haben, das erlebt man in diesem Sport wohl nur ganz selten. Rein sportlich kann man das nur noch mit Kristina Sprehe und ihrer Leistung auf Desperados vergleichen, die darüberhinaus in ihrer Juniorität (die beiden sind noch nicht lange im grossen Sport) das Kunststück fertig gebracht hat, diesen Hengst von einem recht starken Herrenreiter auf ihre eigene Mädchenreitweise umzustellen, was sicher nicht selbstverständlich ist. Wenn so ein Madel heute neben Helen und Dami vorn steht, dann hat die deutsche Reiterei in der Tat einen Grund, darauf stolz zu sein.
Wenn Olympische Spiele also in erster Linie Sport im Sinne von "horsemanship" reflektieren, dann gibt es m.e. keine Frage, wer aus deutscher Sicht im Sinne von Ausbildungsqualität und Seriosität, Werdegang und konstanter Leistungskurve dorthin gehört, selbst wenn es am Ende dort nicht die selben hohe 80er Noten für die beiden regnet, wie derzeit in Balve. Medaillen sind eine Sache, Sportsgeist eine ganz andere. Und ursprünglich ging es bei dem olympischen Gedanken mal genau darum, wenn auch heute alles kommerziell verkommt und nur noch wenig mit Sportsgeist zu tun hat.
Totilas habe ich seit dem verkorksten Auftritt in Vechta im Februar nicht mehr life gesehen und war entsetzt. Das hat nichts mehr zu tun mit Satteltalent und der einst schönen Reiterei des Buben in seinen Anfängen noch auf Renoir, als ich ihn das erste mal im grossen Sport erlebt habe. Da hat er bewiesen, dass er es kann, er hat sich sehr wohl mit dem nötigen Feingefühl und der nötigen Zeit sicher auf das Pferd eingestellt, tatsächlich hat er Renoir damals m.e. besser geritten als er je unter seiner weitaus erfahreneren Mutter zu sehen war. Selbiges gilt für Sternthaler, der sicher nicht einfach war aber zeit und nachhaltige Ausbildung haben den beiden zurecht auch Sternstunden beschert, die das Talent des Buben auszeichnen. Reiterlich und sportlich war das ganz sicher der richtige Weg.
Inzwischen liegt er mehr im Sattel als er sitzt, Unterschenkel vorgestreckt, das Pferd nicht vor sondern unter sich, tendenziell eher auf der Flucht als bei ihm. Mag sein, dass diese Art von Sitz und Einwirkung dem ein oder anderen erfolgreichen Olympioniken dieser Welt Erfolg und Recht gibt, diese Pferde sind dann aber auch von Beginn an auf eine solche Reitweise "konditioniert" und funktionieren zumindest rein technisch entsprechend. Ob das im Sinne der klassischen Reiterei dann immer ein reelles von hinten nach vorn geritten sein ist, lassen wir mal dahingestellt. Gewertet wird in den Notenbögen zunächst die technisch korrekte Ausführung der Lektionen duch das Pferd (die man durchaus aus in weiten Teilen "konditionieren" kann), Durchlässigkeit im Sinne der tragenden Grundausbildung findet sich nur als Teil- und Fussnote in den Notenbögen wieder und dient dort nicht als Basis für eine entsprechende Notengebung.
Da müsste man jede einzelne Lektion tatsächlich mit einem Faktor für reelle Durchlässigkeit multiplizieren, schon sähen die Ergebnisse im Leistungssport ganz anders aus.
Selbst Übergänge kann man reiten oder konditionieren. Gelingen sie auf den Punkt und wirken gradlienig findet man mangelndes Unterfussen oder Lastaufnahme als Indikatoren für entsprechende Durchlässigkeit durchaus ignoriert.
Nicht ignorieren kann man m.e. ein ungeregeltes Pferd im Ablauf in weiten Teilen der Prüfung, ein zweifelhaftes und nicht wirklich geschlossenes Maul, das an das Zungendebakel in Vechta erinnert und durchaus ins Bild passt, wenn dominante Kandarenführung vor allem anderen (Sitz, Schenkel) wirkt. Zufriedene Anlehnung spielt sich nunmal vor der Senkrechten ab und ergibt sich allein aus einer von hinten nach vorn gerittenen soliden Selbsthaltung - davon war Totilas am Samstag weit entfernt.
Womit wir wieder beim sportlichen Gedanken sind.
Unabhänging von der absoluten Notengebung auf fragwürdig hohem Niveau und der entsprechenden Rangierung kann man ein solches Gesamtbild eigentlich nur im 6er Bereich werten. Taktfehler und ungeregelter Ablauf führen auf manch einem ländlichen Turnier mitunter sogar zum Ausschluss, zumindest aber zu Noten noch weit darunter. Einen groben Ungehorsam kann man verzeihen wenn er nicht Ausdruck wäre eines roten Fadens im Gesamtbild, der diesen Ungehorsam durchaus verständlich macht.
Bei allem Respekt für die Leistung eines Totilas und auch der seines Reiters in der Vergangenheit:
dieses Paar funktioniert nunmal nicht in der Summe seiner Teile und gehört daher aus sportlicher Sicht ganz sicher nicht nach Olympia, wenn auch der Kommerz hier ganz sicher anders und vor allem mitregiert. Da lobt man sich eine Isabell Werth, die auf ihrem El Santo derzeit zwar wenig Grund zur Freude hat und manche Schlacht verliert, die aber durch den konsequenten Aufbau auch dieses Pferdes immer wieder bewiesen hat, dass sie sehr wohl in der Lage ist einen Krieg zu gewinnen. Eben weil die Gesamtausstattung und der Weg dahin stimmig sind. Die Toten werden numal auch heute noch immer erst nach der Schlacht gezählt.
Da sollte sich also besser das gesamte deutsche Funktionärs- und Ausbilderaufgebot aus teuer bezahlten FN-Geldern (man staunt in der Tat wieviele Generäle vom grünen Tisch wir uns leisten, die sich dann immer wieder medienwirksam bei entscheidenden Prüfungen in deutscher Teamuniform teuer akkreditiert am Abreiteplatz tummeln) mal unterstützend in den nächsten wochen in Rheinberg einfinden, um tatkräftig Schützenhilfe und elektrifizierende Piaffförderung zu leisten, als dass überhaupt erwogen wird, einen Totilas, der mit seinem Reiter schlicht auf zwei unterschiedlichen Geleisen unterwegs ist, nach London zu schicken.

Tatsächlich erinnerte Totilas am Samstag in weiten Teilen sehr an August Schulte Quaterkamp in seinem Dressurreiterrennsitz auf Hurrican. Wenn also das deutsche Funktionärsteam befindet, man müsse derartiges Reiten exemplarisch nach London schicken, wäre es sicher eine bessere Idee, sich statt dessen für den Gestüter aus Warendorf auf seinem Kaltblüter zu entscheiden. Die beiden mögen der deutschen Nation zwar auch nicht unbedingt Edelmetall bescheren, hätten aber die Sympathien der Zuschauer uneingeschränkt auf ihrer Seite und lehren nationenübergreifend und wider alle Sprachbarrieren allein durch ihre Karikatur, wie man es eben nicht machen sollte.
Horsemanship und Sportsgeist eben.
Und darum sollte es bei Olympia doch in erster Linie gehen?

Mein Olympiagroschen jedenfalls geht an Hurrican.



Lohne, Landkreis Vechta, am 27.Juli 2012

Von wahrer Liebe und olympischem Sportsgeist

Das erste Gold hat Deutschland schon gewonnen, und zwar noch bevor die eigentlichen olympischen Spiele begonnen haben. Schade nur, dass diese Leistung auf keinem Medaillenspiegel Erwähnung finden wird. Während alle Welt nach London schaut ist es ein Städtchen im beschaulichen Landkreis Vechta, das dieser Tage durch wahren Sportsgeist von sich reden macht:
Für zwei junge Männer ist das Städtchen Lohne Ausgangsort einer 450 Kilometer langen Radtour ins ferne London, fernab aller olympischen Disziplinen, aber irgendwie eben doch durch und durch olympisch. Echter Sportsgeist eben.
Wie es dazu kam ist eine erzählenswerte Geschichte von Herz und Geist.
Es gibt sie noch, diese Männer von Rückgrat und Ehre, bei denen gilt: ein Mann – ein Wort!
In Christian Bröring hat Kristina Sprehe, sympathischer Shooting Star im Dressursattel ihres Desperados und neben Helen Langehanenberg und Damon Hill zu unserer goldenen deutschen Dressurhoffnung avanciert, ganz offensichtlich so einen gefunden. Dazu kann man ihr bereits jetzt gratulieren.
Wohl dem, der so einen Mann an seiner Seite weiss!
Und wie das so ist liegt echten Sportsgeistern das Wetten mitunter nah. Und so wettete Christian vor geraumer Zeit mit seiner Freundin Kristina, dass sie es wohl nicht schaffen würde, sich mit ihrem Desperados für London zu qualifizieren. Dieser Unglaube hatte nichts anrüchiges an sich und war ihm auch nicht zu verdenken, hatte doch bis vor kurzem die gesamte deutsche Dressurnation noch nicht an unser Sommermärchen geglaubt, das eigentlich erst in Balve so richtig auf seinen Höhepunkt zusteuerte. Kein Drama, sondern ein echtes Lustspiel in mehreren Akten. Und so hat Christian zu unser aller Freude seine Wette nun also verloren. Und während Kristina und ihr Desperados mitsamt der deutschen Dressurequipe bereits auf der Pidgley Farm vor den Toren Londons weilt, sattelt Christian nun auch auf:
seinen Drahtesel nämlich.
Sollte er die Wette verlieren würde er seiner Kristina auf dem Fahrrad nach London nachreisen, so lautete sein Einsatz.
Von so einem Mann träumt die halbe deutsche Nation – die weibliche jedenfalls...
Am Donnerstag dieser Woche war es so weit und Christian (26) machte sich auf den Weg. Und wie das so ist mit echtem deutschen Heldentum fährt er nicht allein, sein jüngerer Bruder David (21) steht ihm zur Seite und radelt mit. In fünf Tagesetappen wollen die beiden die Strecke bewältigen und man wünscht den beiden auf ihrer Mission alles Gute!
Und wenn dann in der kommenden Woche unsere Dressurreiter ihr Debut geben in Greenwich Park und Kristina mit ihrem Desperados erscheint, dann wollen wir alle mal am Rande nach Christian Ausschau halten, denn der hat sich seine olympischen Meriten bereits verdient.
Sowas ist doch einfach Gold wert!

Quelle: NDR Mediathek

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