Zu Helen und Dami ist
alles gesagt, was diese beiden in einem Jahr an Konstanz und Leistungssteigerung
vollbracht haben, das erlebt man in diesem Sport wohl nur ganz selten. Rein
sportlich kann man das nur noch mit Kristina Sprehe und ihrer Leistung auf
Desperados vergleichen, die darüberhinaus in ihrer Juniorität (die beiden sind
noch nicht lange im grossen Sport) das Kunststück fertig gebracht hat, diesen
Hengst von einem recht starken Herrenreiter auf ihre eigene Mädchenreitweise
umzustellen, was sicher nicht selbstverständlich ist. Wenn so ein Madel heute
neben Helen und Dami vorn steht, dann hat die deutsche Reiterei in der Tat einen
Grund, darauf stolz zu sein.
Wenn Olympische Spiele also in erster Linie Sport im Sinne von "horsemanship"
reflektieren, dann gibt es m.e. keine Frage, wer aus deutscher Sicht im Sinne
von Ausbildungsqualität und Seriosität, Werdegang und konstanter Leistungskurve
dorthin gehört, selbst wenn es am Ende dort nicht die selben hohe 80er Noten für
die beiden regnet, wie derzeit in Balve. Medaillen sind eine Sache, Sportsgeist
eine ganz andere. Und ursprünglich ging es bei dem olympischen Gedanken mal
genau darum, wenn auch heute alles kommerziell verkommt und nur noch wenig mit
Sportsgeist zu tun hat.
Totilas habe ich seit dem verkorksten Auftritt in Vechta im Februar nicht mehr
life gesehen und war entsetzt. Das hat nichts mehr zu tun mit Satteltalent und
der einst schönen Reiterei des Buben in seinen Anfängen noch auf Renoir, als ich
ihn das erste mal im grossen Sport erlebt habe. Da hat er bewiesen, dass er es
kann, er hat sich sehr wohl mit dem nötigen Feingefühl und der nötigen Zeit
sicher auf das Pferd eingestellt, tatsächlich hat er Renoir damals m.e. besser
geritten als er je unter seiner weitaus erfahreneren Mutter zu sehen war.
Selbiges gilt für Sternthaler, der sicher nicht einfach war aber zeit und
nachhaltige Ausbildung haben den beiden zurecht auch Sternstunden beschert, die
das Talent des Buben auszeichnen. Reiterlich und sportlich war das ganz sicher
der richtige Weg.
Inzwischen liegt er mehr im Sattel als er sitzt, Unterschenkel vorgestreckt, das
Pferd nicht vor sondern unter sich, tendenziell eher auf der Flucht als bei ihm.
Mag sein, dass diese Art von Sitz und Einwirkung dem ein oder anderen
erfolgreichen Olympioniken dieser Welt Erfolg und Recht gibt, diese Pferde sind
dann aber auch von Beginn an auf eine solche Reitweise "konditioniert" und
funktionieren zumindest rein technisch entsprechend. Ob das im Sinne der
klassischen Reiterei dann immer ein reelles von hinten nach vorn geritten sein
ist, lassen wir mal dahingestellt. Gewertet wird in den Notenbögen zunächst die
technisch korrekte Ausführung der Lektionen duch das Pferd (die man durchaus aus
in weiten Teilen "konditionieren" kann), Durchlässigkeit im Sinne der tragenden
Grundausbildung findet sich nur als Teil- und Fussnote in den Notenbögen wieder
und dient dort nicht als Basis für eine entsprechende Notengebung.
Da müsste man jede einzelne Lektion tatsächlich mit einem Faktor für reelle
Durchlässigkeit multiplizieren, schon sähen die Ergebnisse im Leistungssport
ganz anders aus.
Selbst Übergänge kann man reiten oder konditionieren. Gelingen sie auf den Punkt
und wirken gradlienig findet man mangelndes Unterfussen oder Lastaufnahme als
Indikatoren für entsprechende Durchlässigkeit durchaus ignoriert.
Nicht ignorieren kann man m.e. ein ungeregeltes Pferd im Ablauf in weiten Teilen
der Prüfung, ein zweifelhaftes und nicht wirklich geschlossenes Maul, das an das
Zungendebakel in Vechta erinnert und durchaus ins Bild passt, wenn dominante
Kandarenführung vor allem anderen (Sitz, Schenkel) wirkt. Zufriedene Anlehnung
spielt sich nunmal vor der Senkrechten ab und ergibt sich allein aus einer von
hinten nach vorn gerittenen soliden Selbsthaltung - davon war Totilas am Samstag
weit entfernt.
Womit wir wieder beim sportlichen Gedanken sind.
Unabhänging von der absoluten Notengebung auf fragwürdig hohem Niveau und der
entsprechenden Rangierung kann man ein solches Gesamtbild eigentlich nur im 6er
Bereich werten. Taktfehler und ungeregelter Ablauf führen auf manch einem
ländlichen Turnier mitunter sogar zum Ausschluss, zumindest aber zu Noten noch
weit darunter. Einen groben Ungehorsam kann man verzeihen wenn er nicht Ausdruck
wäre eines roten Fadens im Gesamtbild, der diesen Ungehorsam durchaus
verständlich macht.
Bei allem Respekt für die Leistung eines Totilas und auch der seines Reiters in
der Vergangenheit:
dieses Paar funktioniert nunmal nicht in der Summe seiner Teile und gehört daher
aus sportlicher Sicht ganz sicher nicht nach Olympia, wenn auch der Kommerz hier
ganz sicher anders und vor allem mitregiert. Da lobt man sich eine Isabell
Werth, die auf ihrem El Santo derzeit zwar wenig Grund zur Freude hat und manche
Schlacht verliert, die aber durch den konsequenten Aufbau auch dieses Pferdes
immer wieder bewiesen hat, dass sie sehr wohl in der Lage ist einen Krieg zu
gewinnen. Eben weil die Gesamtausstattung und der Weg dahin stimmig sind. Die
Toten werden numal auch heute noch immer erst nach der Schlacht gezählt.
Da sollte sich also besser das gesamte deutsche Funktionärs- und
Ausbilderaufgebot aus teuer bezahlten FN-Geldern (man staunt in der Tat wieviele
Generäle vom grünen Tisch wir uns leisten, die sich dann immer wieder
medienwirksam bei entscheidenden Prüfungen in deutscher Teamuniform teuer
akkreditiert am Abreiteplatz tummeln) mal unterstützend in den nächsten wochen
in Rheinberg einfinden, um tatkräftig Schützenhilfe und elektrifizierende
Piaffförderung zu leisten, als dass überhaupt erwogen wird, einen Totilas, der
mit seinem Reiter schlicht auf zwei unterschiedlichen Geleisen unterwegs ist,
nach London zu schicken.
Tatsächlich erinnerte Totilas am Samstag in weiten Teilen sehr an August Schulte
Quaterkamp in seinem Dressurreiterrennsitz auf Hurrican. Wenn also das deutsche
Funktionärsteam befindet, man müsse derartiges Reiten exemplarisch nach London
schicken, wäre es sicher eine bessere Idee, sich statt dessen für den Gestüter
aus Warendorf auf seinem Kaltblüter zu entscheiden. Die beiden mögen der
deutschen Nation zwar auch nicht unbedingt Edelmetall bescheren, hätten aber die
Sympathien der Zuschauer uneingeschränkt auf ihrer Seite und lehren
nationenübergreifend und wider alle Sprachbarrieren allein durch ihre Karikatur,
wie man es eben nicht machen sollte.
Horsemanship und Sportsgeist eben.
Und darum sollte es bei Olympia doch in erster Linie gehen?
Mein Olympiagroschen jedenfalls geht an Hurrican.
Lohne, Landkreis Vechta, am 27.Juli 2012
Von wahrer Liebe und olympischem Sportsgeist
Das erste Gold hat Deutschland schon gewonnen, und zwar noch bevor die
eigentlichen olympischen Spiele begonnen haben. Schade nur, dass diese Leistung
auf keinem Medaillenspiegel Erwähnung finden wird. Während alle Welt nach London
schaut ist es ein Städtchen im beschaulichen Landkreis Vechta, das dieser Tage
durch wahren Sportsgeist von sich reden macht:
Für zwei junge Männer ist das Städtchen Lohne Ausgangsort einer 450 Kilometer
langen Radtour ins ferne London, fernab aller olympischen Disziplinen, aber
irgendwie eben doch durch und durch olympisch. Echter Sportsgeist eben.
Wie es dazu kam ist eine erzählenswerte Geschichte von Herz und Geist.
Es gibt sie noch, diese Männer von Rückgrat und Ehre, bei denen gilt: ein Mann –
ein Wort!
In Christian Bröring hat Kristina Sprehe, sympathischer Shooting Star im
Dressursattel ihres Desperados und neben Helen Langehanenberg und Damon Hill zu
unserer goldenen deutschen Dressurhoffnung avanciert, ganz offensichtlich so
einen gefunden. Dazu kann man ihr bereits jetzt gratulieren.
Wohl dem, der so einen Mann an seiner Seite weiss!
Und wie das so ist liegt echten Sportsgeistern das Wetten mitunter nah. Und so
wettete Christian vor geraumer Zeit mit seiner Freundin Kristina, dass sie es
wohl nicht schaffen würde, sich mit ihrem Desperados für London zu
qualifizieren. Dieser Unglaube hatte nichts anrüchiges an sich und war ihm auch
nicht zu verdenken, hatte doch bis vor kurzem die gesamte deutsche Dressurnation
noch nicht an unser Sommermärchen geglaubt, das eigentlich erst in Balve so
richtig auf seinen Höhepunkt zusteuerte. Kein Drama, sondern ein echtes
Lustspiel in mehreren Akten. Und so hat Christian zu unser aller Freude seine
Wette nun also verloren. Und während Kristina und ihr Desperados mitsamt der
deutschen Dressurequipe bereits auf der Pidgley Farm vor den Toren Londons
weilt, sattelt Christian nun auch auf:
seinen Drahtesel nämlich.
Sollte er die Wette verlieren würde er seiner Kristina auf dem Fahrrad nach
London nachreisen, so lautete sein Einsatz.
Von so einem Mann träumt die halbe deutsche Nation – die weibliche jedenfalls...
Am Donnerstag dieser Woche war es so weit und Christian (26) machte sich auf den
Weg. Und wie das so ist mit echtem deutschen Heldentum fährt er nicht allein,
sein jüngerer Bruder David (21) steht ihm zur Seite und radelt mit. In fünf
Tagesetappen wollen die beiden die Strecke bewältigen und man wünscht den beiden
auf ihrer Mission alles Gute!
Und wenn dann in der kommenden Woche unsere Dressurreiter ihr Debut geben in
Greenwich Park und Kristina mit ihrem Desperados erscheint, dann wollen wir alle
mal am Rande nach Christian Ausschau halten, denn der hat sich seine olympischen
Meriten bereits verdient.
Sowas ist doch einfach Gold wert!
Quelle:
NDR Mediathek
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