ein
Leserbrief an die Reiter und Pferde in Westfalen, der damals auch abgedruckt
wurde.
unter Buschreiter.de wurde diese Schreiben ebenfalls
veröffentlicht als Antwort auf eine von Andreas Dibowski angestossene Diskussion
zum Thema "Wie soll sich
dieser Sport entwickeln?"
„Zeichen der Zeit nicht erkannt?“
Interview mit
Hilarius Simons, RuP11/2002
Mit
grossem Interesse habe ich das Interview mit Herrn Simons gelesen und die
Gründung des Vereines „Freundeskreis
Vielseitigkeit“ mit Freude zur Kenntnis genommen. Hier geht es um den Erhalt
des Stellenwertes der Vielseitigkeitsreiterei, und daran sollte uns doch allen
sehr gelegen sein. Denn ist es nicht
traurig dass man die erfolgreiche Nachwuchsförderung im Spring- und Dressursport, um die uns alle
Welt beneidet, und deren Nachhaltigkeit eindrucksvoll seit Jahren auf Championaten unterstrichen wird, nicht auch auf den Vielseitigkeitssport
umsetzen kann?
Nur am mangelnden Einsatz von Vollblütern in der deutschen Pferdezucht kann es eigentlich nicht liegen, gerade in Basisprüfungen wäre manch ein ordinärer Warmblüter dankbar (und brauchbar!), seine Qualitäten unter Beweis stellen zu dürfen. Meine eigenen Erfahrungen im Umgang mit diesem Sport sprechen viel mehr dafür, dass sich zunächst am Konzept etwas ändern muss:
In der Regel vom Spring- oder Dressursport kommend, ist es für den Einsteiger so gut wie unmöglich, an regelmässigen Trainingseinheiten teilzunehmen, selbst wenn entsprechendes Gelände in erreichbarer Umgebung verfügbar ist. Die Hemmschwelle zum Turniersport ist ungleich grösser als beim Spring- oder Dressurreiten: Zu einer A-Vielseitigkeit gehört doch erheblich viel mehr Erfahrung (und nicht zuletzt Schneid....) als zu einem A-Spingen oder einer A-Dressur, die Einteilung in LK3 und 6 begünstigt fast ausschliesslich die Kids, als Erwachsener hat man so gut wie keine Chance, auf LK6-Niveau einzusteigen, weil spätestens bei den Teilprüfungen Springen/Dressur dann Reiter der LK5 ausgeschlossen sind. Stilgeländeritte, die eigentlich der ideale Einstieg wären, sind an einer Hand abzuzählen und selbst diese sind, wenn sie denn in ein grösseres Turnier eingebunden sind, oft derart anspruchsvoll in Länge und Hindernisbau, dass man hier von "A" wie Anfängerniveau nicht reden kann.
Das grösste Problem aber dürfte in der
Mentalität unserer Reiternation Deutschland an sich begründet liegen: Nachdem
wir in den letzten 50-100 Jahren die klassische Reiterei geradezu neu erfunden
und nebenher die wohl erfolgreichste Pferdezucht der Welt etabliert haben,
scheint darüber in Vergessenheit zu geraten, dass gerade die
Vielseitigkeitsreiterei doch wohl die dem Naturell des Pferdes nahestehendste
der drei olympischen Reitsportdisziplinen ist. Und doch ist es in Deutschland
Usus, junge Pferde möglichst auf abgeschlossenen Zirkeln und in ausbruchsicheren
Reithallen zu schulen — entsprechend wird die Reiterei dem Einsteiger
vermittelt. Das ist gewiss in Massen sinnvoll, doch ist es nicht traurig, dass
der durchschnittliche deutsche Turnierreiter durchaus bis zur Klasse S
erfolgreich sein kann, ohne überhaupt mal einen Wasserdurchritt gesehen zu
haben, vom Erklettern eines natürlichen Walles einmal ganz abgesehen? Ist es
nicht traurig, dass man unseren Reiternachwuchs zwar lehrt, wieviele Knochen ein
Pferd hat, aber einen natürlichen Galopp im Gelände bei steter Anlehnung im
gesamten Ausbildungs-und Schulungsprogramm nicht vorsieht?
Muss man
sich wirklich wundern, wenn die Reaktionen der Reiterkollegen im eigenen Verein
von "Bist du verrückt? Willst du dir die Knochen brechen?" bis "Mensch, dafür
ist dein Pferd doch viel zu schade!" reichen, wenn man nur das Üben-wollen von
Geländesprüngen erwähnt?
Uns Deutschen ist das Selbstverständnis der
Geländereiterei einfach abhanden gekommen, hier werden junge Pferde nicht ihrem
Naturell entsprechend im Pulk mit älteren in freier Natur an den Reiter gewöhnt, genausowenig wird die Reiterei als solche mit diesem Selbstverständnis
vermittelt. Wieso kann nicht bereits beim Reiterpass und Reiterabzeichen das
Durchreiten von Wasserhindernissen gefordert werden, das Erklettern eines
kleinen Walles, das kontrollierte Galoppieren im leichten Sitz auf dem
benachbarten Stoppelfeld - in begrenztem Umfang sollte es doch beinahe jedem
Verein möglich sein, so etwas zur Verfügung zu stellen — erfordert das Anlegen
eines guten Platzes nicht sehr viel mehr Aufwand? Hätte man
so nicht viel eher die Möglichkeit, bereits frühzeitig allen möglichen
Vorurteilen zu begegnen und diese gegebenenfalls in echtes Interesse für diesen
Sport zu wandeln? Wie sonst will man diesem Sport in der breiten Öffentlichkeit
seine Vorurteile nehmen, wenn schon die Mehrheit der eingeschworenen Reiter
mangels Berührungspunkten dem kein Verständnis entgegenbringt? Es ist schon
sonderbar, wir sind die grösste Reiternation der Welt und doch ziehen wir es in
der Mehrheit vor, den Anforderung einer Cross-Strecke mit einem 100-PS-starken
Allradvehikel zu begegnen — dabei wäre eine einzelne Pferdestärke völlig
ausreichend und viel natürlicher. Solange Geländereiterei in Deutschland nicht
die Regel, sondern die Ausnahme ist, werden wir auch in 20 Jahren noch hier
sitzen und unsere Defizite beklagen.
Vielseitiges Reiten - eine ganz persönliche
Stellungnahme auf die Frage:
"Wie baut ihr eure jungen Buschpferde auf? Reitet ihr die 4-jährig in Spring- und Dressurprüfungen oder spezialisiert ihr die gleich von Anfang an?"
Ich fange bei jedem
Pferd das ich jung unter den
Sattel bekomme so früh wie möglich mit festen
Hindernissen und entsprechend "Buschtraining"
(Rennbahn,
Geländesprünge) an - "Buschtraining"
ist keine
Frage des
Alters sondern eine
Frage der
(klassischen!) Ausbildung und des
Gerittenseins. Und weil "Buschtraining"
heutzutage die dem
Naturell des
Pferdes nahestehenste
Disziplin überhaupt ist (nach vorn ausgerichtet und in
sicherer steter
Anlehnung geritten) tut man sich und vor allem dem
Pferd gerade im
Hinblick auf alle anderen
weitergehend spezialisierten
Reitweisen (Springen und
gerade auch
Dressur, wo heutzutage meist
nur noch auf der
Bremse gestanden wird) den allergrössten
Gefallen:
man festigt sie mental und physisch in geradezu ideeller
Weise und profitiert davon nicht zuletzt im
Viereck.
Auch gerade angerittene 3jrg nehmen sog.
"Buschtraining"
geradezu dankbar und mit grösstem
Lernerfolg an.
Kein
Wunder, hat man früher, als es noch keine
abgeschlossenen
Longierzirkel und
Reithallen gab, doch gar
keine andere
Möglichkeit gehabt als seine
Pferde draussen in freier
Natur zu schulen und zu formen und die britischen
Kollegen von der Insel
praktizierten das
Anreiten junger
Pferde anders als wir
Kontinentaleuropäer im
Pulk zur
Jagd auf geradezu beispielhafter (weil artgerechter)
Weise:
im
Pulk nach vorn und alles natürlich angeritten.
"Buschtraining" ist die klassischste aller
Ausbildungsformen überhaupt und gehört m.e. bei der
Ausbildung eines jeden jungen
Pferdes ganz nach vorn gestellt.
Alles andere ist nur ein modernes aber wenig
artgerechtes
Derivat und meist nicht im
Sinne des
Pferdes geritten und geschult.
Im
Hinblick auf
Springtraining habe ich die
Erfahrung gemacht dass junge unerfahrene
Pferde gerade an festen
Hindernissen (wenn sie sinnvoll gebaut sind mit
deutlicher
Textur,
Dimension, plastischer
Ausformung und enstprechender
Taxierfähigkeit) weit
weniger
Probleme haben als an künstlichen filigranen, dem
Pferdeauge nicht angemessenen und
nur schwer einschätzbaren (weil der
Natur des
Pferdes nicht entsprechenden)
Stangenhindernissen.
Es gibt dagegen kaum ein
geeigneteres
Hindernis vor das man ein junges
Pferd nicht genauso gut (eigentlich noch viel besser)
selbst im
Trabe heranreiten kann als ein gut konstruiertes
festes
Hinderniss -
Strohballen mit
Baumstamm davor als sichere
Markierung der
Bodenlinien und einer natürlichen Tiefe, die
vom Pferd auch als solche wahrgenommen wird - weil ein
Pferd mit seiner sensiblen
Sehfähigkeit und mangelnder
Dimensionalität soetwas optisch so viel einfacher
begreift und sich entsprechend verhält:
es sieht, begreift und macht einen Sprung im Sinne von Absprung und nicht
darüberklettern.
Kaltfüsse gibt es nicht weil die
Pferde begreifen dass dies ein richtiges
Hindernis ist, dem sie entsprechend zu begegnen haben.
Ich habe gerade wieder ein junges
Pferd unterm
Sattel, seit
acht Wochen in der täglichen
Arbeit, wird
erst vier.
Ich habe das grosse
Glück in der
Nähe der
Westfälischen
Reit und Fahrschule zu
wohnen und hatte daher die
Chance mit dieser
Remonte bereits zweimal an
Hallengeländetranings diesen
Winter teilzunehmen.
Was diese beiden
Tage an
Erfahrung,
Reife und
Begreifen bei diesem jungen
Pferd bewirkt haben lässt sich kaum beschreiben.
Ein sicheres
Pferd das auf natürlichste
Weise begriffen hat worauf es eigentlich ankommt wenn
man es gegen ein
Hindernis reitet.
erst danach habe ich es erstmals in einem kleinen
Stangenparcours geritten und siehe da:
das funktioniert von allein.
Stangen werden als Sprung wahrgenommen und
entsprechend taxiert und behandelt.
Das
Pferd hat seinen
Job begriffen ohne dass ich viel dazutun musste.
"Schwimmen" aus
Unsicherheit und mangels
Erfahrung im anreiten ist natürlich - wichtig ist das
vertrauensvolle hinziehen zum
Sprung im sicheren
Wissen:
dies ist ein
Sprung und ich weiss was ich zu tun hab!
Und das vermittelt man einem
Pferd kaum besser als an einem pferdefreundlich
gebauten festen
Hindernis.
taxieren und bergreifen.
dazu muss man keine bunten
Stangen haben.
Wenn das
Wetter es zulässt hoffe ich dass ich auch mit diesem
jungen
Pferd sobald wie möglich auf entsprechende
Aussenplätze zum
Geländereiten gehen kann - schon weil der
Lerneffekt des "was anderes sehen" durch nichts mit
Geld zu
kaufen ist - von
Wasser und klettern bergauf und
bergab in leichter
Anlehnung und den überaus sinnvollen
physischen Effekt desselben auf die
Tragfähigkeit
Muskulatur des
Pferdes wollen wir gar nicht
reden.
je früher je besser.
weil: natürlicher geht es nicht.
Stangenhindernisse sind ein
Auswuchs moderner
Reiterei aber weit entfernt vom verstehen und formen
derselben in der
Ausbildung des jungen
Pferdes.
weshalb es mir schier unverständlich ist dass
Springpferde- und
Eignungsprüfungen
zwar bereits für 4jrg heute eine gewisse
Popularität (und
Selbstverständnis) geniessen, aber man bei festen
Hindernissen ein grosses
Fragezeichen macht ob sie dazu überhaupt "reif " genug
sind????
Umgekehrt wird erst ein
Schuh draus!
Natürliche
Hindernisse, klettern,
Wasser und
Strich galoppieren bei leichter
Anlehnung nach vorn sind durch nichts zu ersetzen und
die natürlichste (weil artgrechteste)
Form der
Ausbildung - schade nur dass unser heutiges
Verständnis von
Reiterei und
Ausbildung eines jungen
Pferdes uns soweit davon entfernt hat dass man sich
heute tatsächlich die
Frage stellt:
"wann anfangen mit
Buschreiterei?"
ein
Rückschritt, kein
Fortschritt, möchte ich meinen.
Ein ordentliche gerade angerittenes 3 oder
4jrg
Pferd kann jeden festen
Buschkurs im
Zweifel aus dem
Trab aber dafür in sicherem
Selbstverständnis und steter
Selbsterkenntnis seiner
Fähigkeiten sehr viel einfacher absolvieren als einen
Stangenkurs oder
Stangenhindernisse - und ich möchte behaupten sie
haben selber
auch weitaus mehr
Spass an der
Sache als an der künstlichen
Alternative - weil sie es besser begreifen und
natürlich angehen.
Und das trifft ganz besonders auch auf dauerlongierte
und
unter samtenen Deckchen gehaltene
Dressur- und
Materialpferde zu.
"Spezialisierung" ist eine unnatürliche aber leider
modern gewordene
Herangehensweise der
Ausbildung - natürliche
Ausbildung draussen im
Busch sollte artgerechtes Selbstverständnis sein für jedes
Pferd, ganz egal ob sie
später
dann wirklich mal
Geländeprüfungen gehen sollen
oder nicht.
zum Seitenanfang
Hinrich
Romeike - eine vielseitige Philosophie, gelebt, und im wahrsten Sinne des Wortes
Selten hat mich etwas so sehr nachhaltig beeindruckt und beschäftigt wie der Vortrag
von Hinrich Romeike anlässlich des Videoabends des
Freundeskreis
Vielseitigkeitsreiten im Dezember 2008 in Münster. Ist mein Bericht zu
diesem Thema auf der Webseite des Freundeskreises in allererster Linie nicht
viel mehr als der bemühte Versuch, der aussergewöhnlichen Persönlichkeit dieses
sympathischen Reitersmannes (der ganz nebenbei auch Doppelolympiasieger ist) in
Worten gerecht zu werden, so sind dabei doch so viele Dinge ungesagt geblieben
die einfach wertvoll und nachdenkenswert sind, Dinge, die oft zwischen den
Zeilen des Gesagten lagen, dass ich nun zwei Tage später den
Entschluss gefasst habe Hinnies "Vortrag" einen eigenen Platz auf dieser Seite
zu widmen in der Hoffnung, auf diese Weise all das reflektieren zu können was
mich seither bewegt - und da fängt das Dilemma auch schon an:
mit der Bezeichnung "Vortrag" wird man dem, was Hinrich Romeike an diesem Abend
erzählt hat, kaum gerecht. Er hat ein Stück gelebte Philosophie zum Thema Pferd
und Reiter von sich gegeben die einfach in jeder Hinsicht - inhaltlich und
"darstellerisch" - einzigartig ist. Um es mit den Worten unseres geschätzten
zweiten Vorsitzenden Eberhard Schulte Günne zu sagen (und der liebe Eberhard
möge mir verzeihen dass ich ihn hier ungefragt einfach so zitiere):
"Nun bin ich ja schon ein paar Tage alt - aber so
einen kompetenten und natürlichen Referenten habe ich noch nie erlebt - und
werde es auch nicht wieder erleben. Für die anwesenden Jugendlichen ein lebendes
Vorbild. Geduld - Zielstrebigkeit - Sicherheit - Ausdruckstärke verbunden mit
dem Gefühl für die Kreatur: absolute Ausnahme! - - - Wenn ein Prozent geht -
geht alles!
Ich möchte dem Heiligen St. Georg danken, dass wir
das erleben durften."
Grosse Worte - und ich gebe gern zu, beim ersten Lesen war ich ein wenig
erschrocken ob ihrer Grösse. Beim zweiten Lesen
stelle ich dann uneingeschränkt fest: er hat so recht. Lediglich mein Dank gilt in
erster Linie vielleicht nicht unbedingt dem heiligen St. Georg sondern Hinrich Romeike höchst selbst für seine Zeit, seine Geduld und seine durch und durch
lebendige, amüsante und authentische Geschichte. Und wenn ich ihn im weiteren
Textverlauf der Einfachheit halber kurz als "Hinnie" bezeichnen werde, so ist
das schlicht der Tatsache geschuldet, dass sein Vortragsstil alles andere als
UNpersönlich war und für Förmlichkeiten dort den ganzen Abend schlicht kein
Platz war - erfrischend schön einfach. Und so hoffe ich auch er möge mir diese
Vertraulichkeit nicht übel nehmen, bin ich doch selbst kein Freund davon,
Persönlichkeiten plump beim Vornamen zu nennen, auch wenn man ihnen selber
einmal
begegnet ist. Respekt gehört dazu.
Einleitend hier also zunächst der Bericht aus meiner Feder, wie er auf der Seite
des Freundeskreises erschienen ist:
Da stand er nun:
vergnügt, verschmitzt, bescheiden - mit diesem etwas kecken Lächeln im Gesicht,
so wie man ihn eben kennt - oder wie man ihn gestern abend kennenlernen durfte -
ein Sympathieträger durch und durch und er hatte eine Geschichte zu erzählen die
einfach erzählenswert war, die Geschichte von Marius und Hinnie eben, ZWEI
Olympiasieger, und wie sie sich gefunden haben, wie sie ihren Weg gegangen sind,
einen Weg, der nicht immer gradlinig war und alles andere als "vorbestimmt", der
sie aber schliesslich gemeinsam zu diesem grossen Ziel geführt hat diesen Sommer
in Hong Kong, als Sie uns allen - und einigen anderen Millionen
pferdesportbegeisterten ebenso - wohl die grösste Freude bereitet haben - wer
denkt nicht gern zurück an diese gleichermassen aufregenden wie anrührenden
Szenen aus Hong Kong, vom Bilderbuchgeländeritt, der wohl in die Geschichte
eingehen wird als das "Mass aller Dinge", das dieser Sport an Perfektion und
Harmonie zwischen Pferd und Reiter zu bieten hat, bis hin zu dem
Wimpernschlagfinale im Springstadion, als alle Welt mitzitterte und Hinnie nicht
einmal selber wusste dass er da tatsächlich auf Doppel-Goldkurs unterwegs war...
Die Fakten sind bekannt und von Reportern weltweit wieder und wieder erzählt
worden - und doch ist es die Liebe zum Detail, mit der Hinnie berichtet, die
eigene Spontanität und Begeisterung und selbst heute noch ein wenig Unglaube
über das, was er da vollbracht hat, was den Abend so speziell und sicher
unvergessen machen wird für alle die dabei waren.
Hinrich Romeike schriftlich "rüberbringen" zu wollen ist tatsächlich nicht ganz einfach - weil es weniger das "was" ist, als vielmehr das "wie", das ihn so speziell macht wenn er erzählt und damit alle Zuhörer in seinen Bann zieht. So waren es Applaus und spontanes herzliches Lachen im Wechsel, die seinen Bericht wieder und wieder unterbrachen - weil Hinnie wohl das Naturtalent eines Alleinunterhalters mit in die Wiege gelegt bekommen hat und sich dessen selbst vielleicht gar nicht mal so bewusst ist - und das macht ihn eben so sympathisch.
"Doch, doch, ich bin tatsächlich praktizierender Zahnarzt - und Mittwochs
nachmittags hab ich frei!" (spitzbübisches Grinsen)
"Da kann ich dann mit Marius nach Sahrendorf fahren zum galoppieren - mit
Bleifuss auf der Autobahn (verdeckter Wimpernschlag) und dann bin ich abends um
acht Uhr wieder zu Hause - und habe EIN Pferd geritten ..."
So ist das eben wenn man Amateur ist und seine Brötchen mit konventioneller
Arbeit verdient.
"Man kann das Leben rückwärts verstehen - aber man muss es ja vorwärts leben! -
nich'?"
"Wenn dir einer sagt: Das kannst du nicht! dann meint der damit eigentlich: das kann ICH nicht... - aber wenn da nur die winzige Chance von einem Prozent ist, dass etwas gelingen könnte, dann heisst das doch, dass da immerhin einer unter hundert ist, für den es eine hundertprozentige Chance gibt! und diese Chance muss man doch nutzen - oder nicht - ?"
Ganz einfache und doch so wahre Worte - und durch und durch authentisch rübergebracht, seine ganz persönliche gelebte Philospohie, die ganz sicher nicht nur einem Spitzensportler gut zu Gesicht steht - da findet jeder von uns etwas für sich wieder.
"Junge Pferde reiten ist einfach super - und ganz besonders für Buschreiter - weil: junge Pferde zu springen und ihnen die Anfänge beizubringen, das ist ja eigentlich ganz genau so wie Freispringen - nur mit 'nem Reiter drauf eben ...", und wer nicht ohnehin mit ihm aus Überzeugung einer Meinung war der musste spätestens beim Blick in dieses vergnügt grinsende Gesicht alle Vorbehalte begraben.
Und wenn Hinnie beschreibt wie man sich selber von grossen Sprüngen in der
S-Vielseitigkeit nicht beeindrucken lassen soll, dann klingt das etwa so:
"Naja, da stehen ja nunmal keine 1,60 sondern nur 1,20 - auch bei einer schweren
Vielseitigkeit ist bei 1,20 Schluss und das muss man sich etwa so vorstellen
..." (er bückt sich leicht und hält die Hand bei 1,20) "... und das ist wirklich
nicht viel. ... (kurze Denkpause) ... da springt 'ne Kuh drüber! ... naja. ...
jedenfalls 'ne holsteiner Kuh. ... rotbunt eben!" und er grinst dabei und hat
die Lacher schon wieder auf seiner Seite.
Und Recht hat er ganz sicher auch.
Erfolg ist ganz sicher eine Frage des Kopfes und der Einstellung.
Mit achtzehn Jahren nahm er an den Deutschen Vielseitigkeitsmeisterschaften
teil:
"da war ich letzter in der Dressur - aber dafür schnellster im Gelände!" (das
verschmitze Grinsen versteht sich von selbst)
"1983 war ich für die Europameisterschaften an erster Stelle gesichtet.
Entsprechend gabs dann die Einladung zum Lehrgang nach Warendorf. Und da
reichten dann ganze zehn Tage um den Traum zerplatzen zu lassen: die Offiziellen
meinten, da läge doch wohl noch einiges bei mir im argen..." (grinst)
An dieser Stelle meldete sich Dr. Bernd Springorum zu Wort, Bundestrainer
Vielseitigkeit von 1980 bis 1984 und später Vorsitzender des
Vielseitigkeitsausschusses des DOKR, und er outet sich lachend als einer
derjenigen, die seinerzeit anno 1983 gesagt haben, das reicht aber noch nicht so
ganz zur EM für Herrn Romeike ... aber heute abend, nachdem er wieder diesen
Bilderbuchritt miterleben durfte, da muss er doch einmal eine Lanze brechen für
diesen Sport und für das was Hinrich Romeike und sein Marius in Hong Kong
abgeliefert haben und er möchte zitieren mit den Worten des Major Stecken a.D.,
der ebenfalls zu Gast war an diesem Abend:
"Lieber Hinrich, das ware beispielhaftestes Reiten aus dem Lehrbuch und eine
Freude, diesen Geländeritt anzusehen! Und ich wünsche mir dass die Leute, die
das sehen einfach begreifen was Herr Stecken einmal so einfach in einem Satz auf
den Punkt gebracht hat:
Richtig reiten reicht!"
Und so bleibt eigentlich nur zu sagen, was Martin Plewa anlässlich seiner
Dankesworte an Hinrich Romeike abschliessend treffend zusammenfasste:
"Wir haben uns keinen besseren und geeigneteren Doppelolympiasieger wünschen
können als Hinrich Romeike. Einmal, weil Hinrich einer der ganz wenigen Amateure
im Spitzensport überhaupt ist, zum anderen aber weil Hinrich so durch und durch
professionell in seinem Denken und Handeln ist - Hinrich Romeike ist wahrer
Profi aufgrund seiner Selbstdisziplin und Einstellung und nicht aufgrund des
Kommerzes!"
Im Sinne des Sportes und der Vielseitigkeitsreiterei im besonderen können wir
uns nur wünschen, dass Hinnie, wenn er einmal nicht mehr selber aktiv im Sattel
unterwegs sei, als Botschafter und Visionär weiterhin das Land bereist und den
Leuten seine Geschichte erzählt - weil man die Geschichte von Mensch und Pferd
und den Geist dieses Sportes einfach nicht besser vermitteln kann als Hinrich
Romeike das in seiner herzlichen und natürlichen Art vollbringt. Ein Botschafter
für diesen Sport, der einzigartiges vollbracht hat - in jeder Hinsicht:
sportlich und gesellschaftlich.
So weit der Bericht.
Und doch
begann es eigentlich mit der Geschichte des "jungen Marius" den Hinnie
erstmals anlässlich eines vom holsteiner Verband organisierten Verkaufstages für
blutgeprägte Pferde in Elmshorn zu Gesicht bekam, ein Pferd das seinerzeit zur
Auktion nicht angenommen war, später mal verkauft aber wie ein JoJo immer wieder
zurückkam ("...weil die Leute immer runterfielen... " - und er grinst dabei, na
klar). Fremdreiter des Marius anlässlich des Verkaufstages war seinerzeit der
heutige Bundestrainer Hans Melzer - aber auch erst "als er es endlich geschafft
hatte draufzuklettern" (und er grinst). So richtig gezündelt hatte es aber noch
nicht, das war aber auch gar nicht schlimm, hatte Hinnie doch zu dem Zeitpunkt
bereits ein Pferd im Stall "das ohnehin in seinen Anforderungen den ganzen Mann
forderte, um nicht zu sagen zwei oder drei...". Dass es sich dabei um einen Sohn
des Sir Shostakovitch handelte sei hier nur am Rand bemerkt, zauberte allerdings
ein breites Grinsen, diesmal aber auf mein Gesicht. Erst später sollte Hinnie
sich Marius dann selber "zum Geschenk" machen und auf die Bitte, er wolle mal
diese Pferd seines Freundes Jens [Ritter, Züchter des Marius] reiten meinte
dieser dann auch gleich lakonisch: "Du, das passt gut! ... Der ist nämlich noch
gar nicht so richtig geritten ..."
Nachdem er ihn schliesslich zwei Wochen zum probieren im eigenen Stall hatte war
klar:
Das ist er!
Der Deckel hatte seinen Topf gefunden.
Bemerkenswert an diesem "Werdegang" empfinde ich die Erkenntnis, dass der
passende Deckel zum Topf eben nicht wie oft angenommen spontan und auf Anhieb
zusammenfinden sondern oft erst über Umwege - eine Erkenntnis die ermutigend
sein sollte, gerade in einer schnelllebigen Zeit wo Geduld und Zeit
Mangelware zu werden drohen und erste Eindrücke oft alles sind was zählt.
Wieder musste ich an meine eigenen Erfahrungen denken:
Wie lange habe ich selbst damals meinen Shannon vierjährig roh zur Probe im
Stall gehabt bis die Überzeugung siegte, dass dieses Pferd trotz hektischer
Kapriolen die mit einem gemeinsamen Sturz vor der Stallwand endeten, das
richtige war? Wie lange habe ich meinen Silas als vermeintliches Verkaufspferd
zum wieder anschieben unterm Hintern gehabt bis die Erkenntnis reifte:
Der oder keiner?
Hinnies Schilderungen zur Ausbildung von jungen Pferden allgemein, dem späteren
Olympioniken Marius im besonderen, passen da voll ins Bild:
Zeit nehmen und Zeit lassen...
und die Kunst zu erkennen wann ein Pferd tatsächlich mal aus reiner Sturheit die
Kooperation quittiert oder schlicht echte Angst im Spiel ist.
"Pferde erledigen ihren Job immer gut wenn man es ihnen ordentlich vermittelt - sie dürfen nur einfach zu keinem Zeitpunkt Angst haben!"
Einfache,
sinnige Aussagen, dachte ich, und wer hält sich daran? Wieviele unserer
Reitersleut' und Ausbilder sind denn überhaupt in der Lage zu erkennen dass ein
Pferd das sich verweigert gerade tatsächlich Angst hat und nicht einfach nur
stur ist (mir zogen so ein paar Gelegenheiten
zweifelhafter Ausbildungsphasen der Vergangenheit durch den Kopf als ich mir
genau das nämlich zu meinem Pferd sagen lassen musste und es doch eigentlich
selber besser wusste...)? Umso erfrischender als Hinnie zu dem Schluss kam: "so ein
Pferd fühlt sich einfach mal schnell vera... und das mögen Pferde eben gar
nicht!" ...
und guckt dabei recht ernst... Ich musste herzlich lachen. Die FN hat
zweifelsohne feinere Ausdrucksweisen in ihren Richtlinien um diesen simplen und
eigentlich selbstverständlichen Standpunkt zum Thema Grundausbildung des Pferdes
in allen Möglichen Formen mit Vertrauen zu umschreiben aber mitunter denke ich:
Klartext wie in dieser Form wäre einfach besser.
Zeit nehmen und Zeit lassen...
Er ist ein Verfechter der häufigen und häufigsten Wiederholungsarbeit von
einfachen Übungen, sei es der einfache Wassereinsprung auf allen zur Verfügung
stehenden Plätzen, der winzige erste Wassergraben auf allen zur Verfügung
stehenden Plätzen - niemals alle zur Verfügung stehenden Sprünge und
Sprungformen, aber das stets wiederkehrende selbe Thema bis es eben sitzt.
Erheiternd an dieser Stelle die Anekdoten über Marius im Winter, der plötzlich
Bauklötze staunt weil er sich nach der Sommersaison erstmals wieder mit einem
simplen Cavaletti von blauer Farbe in der Halle konfrontiert sieht und zunächst
verblüfft die Beine in den Boden rammt. Der selbe Marius der beim
Spazierenreiten zu Hause mitunter am Boden verwächst weil da etwas zu sehen ist
was er vorher noch nicht entdeckt hatte - und wieder muss ich an meinen Shannon
denken der mehr als einmal zu Hause die Nerven verlor weil sich etwas in seiner
gewohnten Umgebung verändert hatte - der aber stets in fremder Umgebung forsch
dahin marschierte. Schön zu hören dass selbst erwiesene Olympioniken nach dem
selben Muster funktionieren:
Pferde eben, und keine Maschinen.
Wesentlich Hinnies Credo einem Pferd stets "schaffbare" Aufgaben zu stellen,
weniger ist mehr - nie überfordern. Geringere Anforderungen bescheren
Erfolgserlebnisse - daran wächst ein Pferd. Ich musste an einen früheren
Ausbilder denken der zum Abschluss eines Freispringens oder Parcourstrainings
die wesentlichen Knackpunkte des Parcours' (oder der Reihe) stets um einige
Löcher tiefer baute bevor er das Pferd dann ein letztes Mal darüber gehen liess.
Auf meine erstaunte Frage damals was das denn solle war die einfache Antwort:
Damit verschaffst du dem Pferd ein sicheres Erfolgserlebnis - und ein Pferd
sollte immer mit einem Erfolgserlebnis in den Stall entlassen werden!
Ein solcher Ausbilder, der zum Schluss tiefer baut, ist mir nie wieder begegnet.
Warum eigentlich?
Eines meiner Lieblingszitate an dem Abend aus Hinnies Mund:
"Ich habe nie die nächste Klasse in Angriff genommen bevor ich nicht die
vorherige Klasse auch gewinnen konnte!"
kurze Denkpause.
"... oder zumindest wenn es sich angefühlt hat als wäre es gewonnen...
gefühlte Siege zählen auch!"
Und
Hinnie erzählt von den Marius-spezifischen Ausbildungs"problemchen":
ein Pferd das er selbst 6jährig ausschliesslich leicht getrabt ist weil
Aussitzen sich schlicht verbot - der Rücken gab es nicht her. Ein Pferd das auch
7jährig noch nicht in einem versammelten Galopp sicher haltbar war - er konnte
es einfach nicht.
Es hat sie beide nicht gestört weil beide sich nicht dem Druck der heutigen
turniersportlichen Anforderungen (5-jrg - L, 6jrg.-M, ab 7 - S) beugen konnten
und wollten. Man nahm sich die nötige Zeit. Und fand das ganz
selbstverständlich. Es gab auch niemanden der drängelte. Am allerwenigsten
Erfolgsdruck im kommerziellen Sinn.
Viel Galopparbeit im Gelände haben die beiden absolviert, bergauf und bergab -
das ideale Training für jeden Pferderücken.
So ist Marius 5jährig ausschliesslich Springpferdeprüfungen der Klasse A
gelaufen, 6jährig stets GeländePferdeprüfungen der Klasse L, noch keine reinen
Vielseitigkeitsprüfungen, "weil... ja, weil das Pferd 6jährig ja noch nicht
einmal aus dem Schritt angaloppieren konnte" (guckt dabei verschämt verschmitzt
in die Runde) "um es also mal euphemistisch auszudrücken:
Ich habe uns beiden viiiiel Zeit gelassen..."
Man ahnt, mehr als er es sagt, Dressurreiterei ist auch nicht ihrer beider
Lieblingsdisziplin :-)
Dennoch hat es die beiden nicht gehindert 6jährig
erfolgreich am Bundeschampionat der Vielseitgkeitspferde teilzunehmen.
...
16.12.2011 Der
Freundeskreis Vielseitigkeitsreiten lud ein:
ein Abend mit Dirk Schrade in Münster Handorf - ein gelungener Abend mit einem
sympathisch überzeugenden Sportler im Sattel wie auch im Gespräch
Alle
Jahre wieder lädt der Freundeskreis Vielseitgkeitsreiten Westfalen e.V. zu
seinem vorweihnachtlichen Adventstreffen. Mit dabei stets ein prominenter
Vertreter der deutschen Vielseitigkeitsszene. In diesem Jahr war Dirk Schrade
Gaststar des Abends und der sympathische Baden Württemberger, der seit seiner
Bundeswehrsportschulzeit in Warendorf quasi zum Wahl-Westfalen wurde und
mittlerweile seine eigene Anlage in der Nähe von Sprockhövel betreibt, hat
wahrlich viel zu erzählen.
Dirk kommentiert in der ihm eigenen sympathischen Mundart eloquent sachlich und
plaudert dazu entspannt erfrischend aus dem Nähkästchen. Natürlich standen die
Europameisterschaften in Luhmühlen im August dieses Jahres im Fokus, anlässlich
derer Dirk als Einzelreiter den etwas undankbaren vierten Platz belegte. Knapp
vorbei an der Bronzemedaille – dennoch ist ein vierter Platz auf so einem
Championat ein
grossartiges Ergebnis!
„… schade nur, daß der Veranstalter die abschliessende Siegerehrung nur für die
ersten drei Teilnehmer auf den Medaillenrängen ausrichtete“, druckst er dann
auch bei aller Euphorie ein bisschen verlegen. Und fügt dann mit einem
entwaffnenden Lächeln hinzu: „ Ich wäre da wirklich sehr gern mit dabei
gewesen!“
„’ßehr’ gern“, ein bisschen wie mit scharfen „s“, klingt das aus seinem Mund –
ein wenig schwäbische Mundart noch, die dann und wann durchschimmert und den
Wahlwestfalen urig sympathisch und ganz und gar authentisch rüberkommen lässt.
Und ja, diese Siegerehrung, die hätte man ihm nur zu gern gegönnt, auf einer
Europameisterschaft reitet man schliesslich nicht alle Tage ganz vorn mit!
Insbesondere als Dirk in diesem Sommer mit dem Verlust seines Spitzenpferdes
Gadget de la Cere noch einen herben Verlust wegzustecken hatte – sportlich und
persönlich. "Gagdet war ein tolles Pferd mit großem Potential. Ich wünsche mir,
dass man ihn als einen der großen Sportler in Erinnerung behält!"
Sportlich zumindest hat er die Tragödie scheinbar überwunden.
Mit dem englischen Blüter Hop and Skip ("... wie ein Moped, man muss nur
lenken!" ), genannt Chippie, hat Dirk neben Mig Artus bereits seit zwei Jahren
ein Pferd im Stall, das vielleicht noch nicht jedem so bekannt ist. Das mag
daran liegen, dass Chippie zunächst für Dirks japanischen Stallkollegen gekauft
wurde und auch mit diesem in Kentucky unterwegs war. Inzwischen ist Chippie
unter den Sattel von Dirk gewechselt und die beiden waren international u.a. im
französischen Pau bereits erfolgreich unterwegs. "... und eigentlich springt
der, wie ein Pferd so gar nicht springen soll ... [rutscht von
der Tischkante und beugt sich vor mit durchgedrücktem Rücken und Händen in der
Luft, so ganz und gar westfälisch UN-Cornet-like
und jeder Kundige weiss sofort was gemeint ist...]
das sieht furchtbar aus aber es fühlt sich für mich einfach subber
an!" Und er blickt fast ein kleines bisschen herausfordernd in die Runde und
jeder glaubt ihm - gelebte Funktionalität vor theoretischem Perfektionismus,
Praxis eben! Dann schiebt er ein verschmitztes Grinsen hinterher und meint: "
... aber der kann dann auch schonmal etwas unkonventionell auf dem Hinterbein
landen..." und spätestens jetzt hat auch der Unkundige begriffen, was es mit
einer unkonventionellen Springmanier so auf sich hat - und schon hat er die
Lacher wieder auf seiner Seite!
Fest im Blick sind die Olympischen Spiele in London im kommenden Jahr, und hier
ist die Saisonplanung bereits akribisch geplant:
Aktuell bastelt er also über den Winter an Kondition und Feinschliff seiner
Youngsters und den beiden Spitzenpferde Chippie und King
Artus, für das kommende Frühjahr sind dann mit Kreuth, Marbach und Wiesbaden
bereits wieder renommierte Kurse eingeplant, die seinen Platz im Team in London
hoffentlich erfolgreich bestätigen werden.
Man wünscht es ihm sehr, denn dass Vielseitigkeitsreiten ganz besonders in
Deutschland zu allererst ein Teamsport ist und auch so gelebt wird, das ist aus
jedem seiner Kommentare zu den Ritten in Luhmühlen aufrichtig und respektvoll
rauszuhören:
Neidlos anerkennt er die grossartige sportliche Leistung eines Michael Jung und
seines Sam und geht dabei sachlich informativ auf die Entwicklung des
Wunderpferdes ein, das in jungen Jahren noch längst nicht jeden Zweifler
überzeugt hatte.
Ähnlich
anerkennenswert Dirks Ausführungen zu Sandra Auffahrts Ritt und bewundernde
Anerkennung der Nervenstärke dieser Amazone: „die is’ ja wirklich subber subber
cool – sagt man den Oldenburgern ja glaub' ich auch ein bisschen so nach, dass
sie eher mal ein weniger aufgeregtes Völkchen sind - ?“ und hat untergründig
schwäbelnd schon wieder die Sympathien der Anwesenden auf seiner Seite.
Anschaulich und einfach gern gehört von allen Anwesenden auch Dirks
Schilderungen zu Julia Mesterens Schorsch, und wie diese ihren Hengst (der dank
seiner sportlichen Erfolge inzwischen in Hannover als Deckhengst anerkannt ist)
über den gesamten Verlauf der EM fast ausschliesslich draussen im Paddock unter
freiem Himmel untergebracht hat, „ich glaub' den hab ich nicht ein einziges Mal
im Stallzelt gesehen… der ist das einfach so gewohnt von zu Hause und die zieht
das auch konsequent so durch!“ erzählt er anerkennend – und manch einer denkt,
was würden die Spitzenpferde anderer Disziplinen sich einen derart artgerecht
gelassenen Umgang nur auch einmal so wünschen…
Zu Dirks ganz persönlichen Erinnerungen an seinen europameisterschaftichen Ritt
in Luhmühlen gehört auch diese Anekdote beim Anreiten des letzten Sprunges:
".. und da ging's zum letzten Sprung [leicht schwäbelnder
Singsang] und da denkt man dann gleich an Kentucky
[Dirk stürzte dort am vorletzen, Simone Deitermann am letzten Spung - Anmerkung
des Verfassers], "und ja, das iß' auch bei uns Profis ßo!
[überzeugender Blick in die Runde]... sowas prägt und man
nimmt es beim Reiten mit und ich dachte beim [zunächst wohl
etwas gross gedachten] anreiten so bei mir:
nee, das machst du jetzt nicht! da nimmst du jetzt bewusst nochmal ßo richtig
auf und reitest das ganz sauber und bedacht an!" und immer wenn er ganz und gar
intuitiv reinste Gedanken formuliert schwäbelt es ganz sacht ein wenig aus ihm
raus :-)
An dieser Stelle drängte sich dem Verfasser eine Aussage des Bundestrainers Hans
Melzers auf, der im letzten Jahr an selber Stelle zu Gast des Freundeskreises
war
(Bericht) und der seinerzeit gedenk der Ereignisse in Kentucky so treffend
formulierte:
"Regel Nummer eins: Am Ende eines Kurses reitet man niemals auf gross!"
Recht hat der Mann.
Und das hat auch Dirk aus bitterster Erfahrung gelernt.
Man lernt und wächst eben in erster Linie aus und mit seinen Fehlern.
Schön, dass er das auch so selbstverständlich rüberbringt!
Und ganz sicher hat ihm nicht zuletzt diese Lehre dann in Luhmühlen diesen
erfolgreichen vierten Platz beschert. Und die Athmosphäre in Luhmühlen im
Sommer, ja, das war schon was besonderes. "Einfach grossartig! So ein Championat
auf eigenem deutschen Boden - was ein Mitgehen der Zuschauer! ... un' das iß' ja
auch gar nicht so selbstverständlich in Deutschland [blickt
dabei verständnissuchend in die Runde und findet in den Blicken der Anwesenden
auch was er sucht], schon gar nicht bei dem
Wetter [landunter in Luhmühlen], und doch wird man
da mitgetragen vom Publikum! Das ist schon einfach klasse!"
Die
Zeit verrinnt tatsächlich wie im Fluge, gut drei Stunden sind ruckzuck vorbei.
Am Ende ist das Thema natürlich wieder London, im Mittelpunkt stehen die
infrastrukturellen Voraussetzungen, die in der Öffentlichkeit nicht ganz
unumstritten diskutiert wurden. Martin Plewa, seines Zeichens als technischer
Direktor für die olympische Geländestrecke in London verantwortlich, trägt durch
konkrete Erläuterungen viel zum Verständnis des Sachverhaltes bei. Einfach nett
zu hören wie selbst Dirk den grossen Meister respektvoll mit 'Herr Plewa'
anspricht wenn er ihm interessiert seine Fragen stellt - und einfach schön zu
erleben, dass selbst Kaderreiter heute abend noch einges aus dem Nähkästchen
dazu lernen können!
Dirk bringt es dann auf den Punkt als er zusammenfasst, wie überaus wichtig ein
reibungsloser und konstruktiver Ablauf der Vielseitigkeit im nächsten Jahr in
London für das Überleben dieses Sportes als olympische Disziplin doch ist –
idealerweise mit dem allerbestem Abschneiden unseres deutschen Teams natürlich:
„Weil es einfach ein grossartiger Sport ist …“, kleine Denkpause, und dann
schickt er mit einem verlegen charmanten Lächeln hinterher:
„der beste eben!“
Und wer wollte ihm da schon widersprechen?
„Ein hervorragendes
Schlusswort!“ kommentiert Martin Plewa und dankt Dirk aufs herzlichste im Namen
des Freundeskreises für seine Zeit und sein Engagement heute abend, das dieses
selbstverständliche Miteinander vor Ort überhaupt erst möglich gemacht hat.
Championatsreiter auf Augenhöhe - und wenn sie dann noch so sympathisch
rüberkommen, dann macht das einfach Spass! Und ganz sicher sitzt zu den
olympischen Spielen im nächsten Sommer dann noch der ein oder andere
Freundeskreisler mehr vor dem Fernseher und drückt diesem mitunter noch sanft
schwäbelnden Wahlwestfalen ganz fest die Daumen. Weil man einfach zu schätzen
weiss, wen man so persönlich kennenlernen durfte!
Sabine Brandt,
Münster
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„Zur Natur des Pferdes“
von Reitmeister Martin Plewa
anlässlich der Stensbeck- / Graf Lehndorff – Feier
am 15.11.2006 in Warendorf
Die geehrten Preisträger des heutigen Abends, wie alle, die sich beruflich mit dem Pferd beschäftigen, haben in ihrer Ausbildung umfangreiche Erfahrungen in Zucht, Haltung und Reitausbildung gewinnen können. Von uns Berufskolleginnen und – kollegen wird erwartet, diese Erfahrungen nun weiterzugeben und denjenigen vermitteln zu können, die unseres Rates und unserer Hilfe bedürfen.
Und das ist die Mehrzahl aller pferdebegeisterten Menschen. Nur die wenigsten Pferdefreunde haben die Chance, so wie wir, die wir beruflich mit dem Pferd befasst sind, sich jahrelang den ganzen Tag umfassend mit den jeweiligen Pferdeindividuen auseinander zu setzen. Nur wenige der heutigen Pferdebesitzer und – halter, aber auch nur wenige unserer reiterlich aktiven Amateure sind in Pferdefamilien groß geworden und haben Pferdeverstand (oder ein anderes Wort dafür: Horsemanship) quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Millionen von Pferdefreunden bleiben wichtige Kenntnisse über Verhaltensweisen des Pferdes, über Anforderungen in Umgang und Haltung, über Erfordernisse an reiterlichem Einfühlungsvermögen versagt, woraus oft genug gravierende Probleme im Miteinander von Pferd und Mensch entstehen. Nicht selten sind dann vermeintliche hippologische Heilsbringer die erhoffte, wenn auch meist überteuert erkaufte Rettung. Die Tatsache, dass solche „Gurus“ überhaupt Zulauf haben, aber auch die Tatsache, dass geradezu absurde Trainingsmethoden heutzutage als „neue, moderne“ Ausbildungswege deklariert und nahezu kritiklos nachgemacht werden, muss uns zu denken geben. Es werden heutzutage Sachverhalte in Frage gestellt, die sich seit Jahrzehnten, wenn nicht gar seit Jahrhunderten, im Umgang und in der Ausbildung mit Pferden bewährt haben. Was in Frage gestellt wird, wird meist sehr öffentlichkeitswirksam, noch mehr kommerziell wirksam durch eigene exotische Methoden und Verfahren ersetzt, die natürlich auch die Anschaffung ganz besonderer Peitschen, Leinen, Ketten oder Bücher und sonstiger Medien erfordern. Die im Frühjahr stattfindende Equitana wird uns hierzu wieder zahlreiche Beispiele liefern. Als Beobachter „alternativer Heilsbringer“, die ihre vermeintlich neuen Lehren mit geradezu missionarischem Sendungsbewußtsein, aber auch kommerziellem Geschick vertreten (wobei sich missionarisch und kommerziell eigentlich ausschließen müssten), muss ich mich fragen: haben denn die Erfahrungen sogenannter „alter Pferdeleute“, wie die z. B. meines Vaters, der aus einer über Generationen nachzuvollziehenden Pferdefamilie stammte, nichts getaugt? Haben sie mich den falschen Umgang mit dem Pferd gelehrt, wurde die falsche Reitlehre vermittelt? Wohl kaum; denn ich kann mich nicht erinnern, dass wir auch nur mit einem einzigen unserer Pferde irgendein Problem im Umgang gehabt hätten. Ein Monty Roberts war entbehrlich zu einer Zeit, als jeder Vater seinen Kindern den sachgemäßen Umgang mit dem Pferd als einen wesentlichen Teil seiner alltäglichen Erziehung mitgegeben hat.
Ich frage mich auch angesichts vermeintlich neuer Ausbildungsmethoden: Hat die HDV – gemäße Reitausbildung uns und unsere Pferde etwas in die falsche Richtung geformt? Ich meine: nein! Die größten Meister, die ich als Reitschüler oder als Trainer – bzw. Ausbilderkollege erleben durfte, haben alle die gleichen hippologischen Wurzeln gehabt, nämlich die der sogenannten “klassischen Reitlehre“ mit der Skala der Ausbildung in exakt der gleichen Formulierung, wie sie heute noch in den Richtlinien steht. Nach diesen Grundsätzen sind Pferde unter Reitern ausgebildet worden, die als Reiter und später als Ausbilder zu den bedeutendsten Vertreter dieser klassischen Reitauffassung gehörten, von Stensbeck über Frhr. Von Langen zu allen Angehörigen der Kavallerieschule, die den Reitsport der Welt über Jahrzehnte dominierten, wie Brinckmann, Polley, Momm, Stubbendorff, Habel, Viebig, Niemack, Graf Rothkirch, um nur einige Namen zu nennen. Diese Generation hat exakt dieselben Reitauffassungen in die Nachkriegszeit hinüber gerettet. Sie haben die Grundlage geschaffen für den heutigen Standard deutscher Reitkultur. Ihrem Wirken entspringen die Leistungen von Reiterlegenden wie Winkler, Klimke, Ligges oder Boldt und vielen anderen Tausenden von Meisterreitern und Ausbildern, zu denen auch die Gebrüder Stecken gehören, die weltweit als Vorbilder deutschen Reitwesens gelten. Die von diesen Reiterinnen und Reitern, von diesen Ausbildern vertretene Lehre könnte schon allein deshalb als „klassisch“ bezeichnet werden, weil sie weltweit einfach die meisten und bedeutendsten Lehrmeister und Meister im Sattel hervor gebracht hat.
Worin liegen oder lagen die Gründe für diesen Erfolg und die Nachhaltigkeit dieses Erfolges? Ich vermute, es ist u.a. damit zu begründen, dass diese Generationen von Pferdeleuten das Privileg genossen haben, Pferde stets in ihrem natürlichen Bewegungsumfeld kennen gelernt und unter artgerechten, den natürlichen Bedürfnissen des Pferdes angepassten Bedingungen erlebt zu haben. Sie haben die naturgegebenen Verhaltensweisen und Lebensbedürfnisse des Pferdes von Anfang an erfahren und konnten daher in jeder Hinsicht der Natur des Pferdes gerecht werden und dementsprechend handeln. In der Nutzung des Pferdes war man auf die Gesunderhaltung und eine hohe Lebenserwartung besonders angewiesen. Die Ausbildung hat die wesentlichen Grundlagen gelegt für eine vielseitige Verwendungsmöglichkeit des Pferdes im manchmal ganztägigen Einsatz bei langjähriger Nutzungsdauer. Daher standen als erste Ausbildungsziele die Balancefindung unter dem Reiter, die Kräftigung und Abhärtung im Vordergrund, nicht das Erlernen von Lektionen oder gar Präsentieren spektakulärer Bewegungen. Mit dieser Ausbildungsphilosophie bin ich noch aufgewachsen, habe die ersten Longenstunden und Reitstunden, überwiegend im Gelände, auf einem Pferd bekommen, das je nach landwirtschaftlichen Erfordernissen viele Stunden am Tag im Einsatz war.. Zu vielen Reitstunden, wie z. B. bei Erich Philipp, mussten wir 20 km hin und 20 km zurück durchs Gelände reiten. Auch die Wege zu den wenigen Turnieren wurden auf dem Pferderücken zurückgelegt. Es gab ja keine Hänger, Transporter, keine ziehenden Fahrzeuge. Es gab aber auch keine Fachtierärzte für Pferde, erst recht keine Pferdeklinik. Sie wären zur damaligen Zeit auch nicht existenzfähig gewesen.
In unserer heutigen Zeit, in der der Daseinszweck des Pferdes fast nur noch darin besteht, uns in unserer meist knappen Freizeit zu erfreuen bzw. zur Befriedigung unseres aktuellen sportlichen Ehrgeizes beizutragen, laufen wir schnell Gefahr, es als zeitweise genutztes Freizeitsport – oder Leistungssportgerät zu betrachten und unsere Konzentration nur noch auf die kurze Zeitspanne des Gebrauchs zu lenken, statt die eigentlichen Lebens – und Verhaltensbedürfnisse über alle Tagesstunden eines jeden Wochentages zu berücksichtigen. Der Natur des Pferdes entspricht nicht die höchstens einstündige Nutzung unter dem Sattel; die Natur des Pferde erfordert manchmal auch deutlich mehr Zeit, als wir uns den Pferden üblicherweise widmen können, aber auch vielmehr Raum, als es viele Reitanlagen und Betriebe in unserem stark besiedelten Lebensraum zulassen. Auch wenn manchmal viele Kompromisse erforderlich sind: an der Natur des Pferdes haben wir uns dennoch in unserem täglichen Schaffen zu orientieren, und dies nicht nur, weil es so in den uns selbst auferlegten „Ethischen Grundsätzen des Pferdefreundes“ geschrieben steht, sondern allein deshalb, weil ihre Berücksichtigung erst den sachgemäßen, gesicherten Umgang und die erfolgreiche harmonische Ausbildung ermöglicht.
Worin ist nun die Natur des Pferdes begründet, wie kann ich sie im täglichen Umgang, in der Haltung oder in der Ausbildung berücksichtigen?Zur Antwort auf diese grundsätzliche Frage eine Aussage vorab:
Trotz aller Domestizierung über Jahrtausende, trotz unterschiedlichster Nutzung durch den Menschen, trotz intensivster, gezielter züchterischer Selektion gilt nach wie vor:
Das Pferd ist von seiner Natur her mit all seinen Wesensmerkmalen ein Steppentier, ein Lauftier, ein Fluchttier, ein Herdentier, um nur einige biologisch – ethologische Begriffe der Spezies Pferd zuzuordnen. Wenn wir in unseren Breiten, aber auch bei unserer Nutzung des Pferdes es nicht wie ein Steppen -, Flucht – oder Herdentier halten können, müsste konsequenterweise die züchterische Beeinflussung das Pferd so verändern, dass es die Eigenschaften eines Käfigtieres einnimmt, wenn wir es denn tier- und artgerecht so halten wollen, wie wir es heute oft genug tun. Aber die Zucht selektiert zur Verbesserung der Reiteigenschaften, besserer Bewegungen, Rittigkeit oder besserer Springveranlagung. Noch kein Zuchtverband ist aber z. B. auf die Idee gekommen, Pferde mit besonders großen Mägen zu züchten, um sie nur noch einmal in der Woche füttern zu müssen. Daraus folgt: solange Pferde so sind, wie sie von Natur aus sind, müssen wir sie halten und mit ihnen umgehen, wie sie sind. Das Pferd hat z. B. als Fluchttier ein extrem feines Gehör, weshalb man manche akustische Stimmungsmache auf großen Hallenturnieren fast als Tierquälerei empfinden muss. Auch das Anschreien eines Pferdes, wenn wir meinen, es dadurch disziplinieren zu müssen, entlarvt nur unser mangelndes Wissen über die Natur des Pferdes. Der Leithengst ist kein Brüllaffe. Gebrüll empfindet das Pferd als Gefahrensituation, nicht als Situation, in der es sich einem ranghöheren Lebewesen anvertrauen mag, um mehr Sicherheit zu genießen. Das Sehverhalten eines Pferdes ist nach wie vor auf Steppen – bzw. Fluchtsituationen ausgelegt. Das Pferd hat fast Rundumsicht und kann Bewegungen wesentlich differenzierter wahrnehmen als der Mensch. Dies müssen wir einfach berücksichtigen, wenn ein Pferd sich erschrickt, auch wenn wir den Grund dafür selbst nicht realisiert haben. Das Pferd hat auch eine sehr empfindliche Wahrnehmung auf der Haut. Es nimmt jede Fliege auf dem Fell wahr, zuckt dort mit der Haut oder schlägt mit dem Schweif, um das Insekt zu vertreiben. Dies muss allen zu denken geben, die mit scharfen Sporen oder heftigem Schenkeleinsatz das Pferd malträtieren. Stumpf oder gar „tot am Schenkel“ ist ein Pferd nicht von Natur aus, es wurde dazu gemacht! Außer bei den Sinnesorganen entspricht auch die sonstige Anatomie und Physiologie des Pferdes noch ganz der eines Steppentieres. So verfügt das Pferd über einen empfindlichen, hoch entwickelten Atmungsapparat, dem man nicht nur durch entsprechende Haltung Rechnung tragen muss, sondern auch durch entsprechendes Training. Wenn Pferde nicht mehr frei und auch in höherem Tempo galoppieren dürfen, können die Atmungsorgane nicht mehr ausreichend ventiliert werden. Ständiges Dressurreiten in gedrosseltem Tempo ohne freie Galopps auf der Weide oder unter dem Sattel, ist daher Degenerationstraining für die Lungen. Das Verhalten von Fohlen und Jungtieren auf großen Weiden zeigt uns deutlich, wie durch einen Wechsel von ruhiger Bewegung zu flotten Galopps die Natur dafür sorgt, dass der Atmungs- , aber auch der Bewegungsapparat ständig trainiert und damit gesund erhalten wird. Auch hinsichtlich des Bewegungsapparates stellt das Pferd von seiner Natur her die Anforderungen eines Dauerlauftieres. In freier Umgebung würde sich das Pferd fast ständig in Bewegung befinden, meist im ruhigen Schritt, evtl. unterbrochen von schnellen Galopps als Training für die Fluchtsituation (der Trab ist eher die Erholungsgangart, das gilt übrigens auch für das sportliche Training). Wenn nun ein Halter oder Reiter sich nun damit brüstet, sein Pferd täglich zu bewegen, weil er es ja jeweils eines Stunde reitet und natürlich auch keinen Stehtag einlegt, kann er der Natur des Pferdes mit diesem Bewegungsangebot dennoch nicht entsprechen. Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen naturgegebenen Bewegungsbedarf und dem individuellen Bewegungsbedürfnis. Das Training kann evt. einen Teil des Bewegungsbedarfes abdecken, ob es aber dem jeweiligen individuellen Bedürfnis des Pferdes entspricht, in einer Reitstunde 20 Pirouetten zu drehen, 10 Minuten zu piaffieren oder 40 Sprünge zu überwinden, sei sehr dahin gestellt. Den ausreichenden Bewegungsbedarf und die Befriedigung des Bewegungsbedürfnisses kann ich nur sicher stellen, wenn ich dem Pferd zusätzlich zum Reiten freie, ungezwungene Bewegung (z. B. auf ausreichender Weidefläche) ermögliche. Die Tatsache, dass die meisten Dressurpferde, aber auch sehr viele Springpferde, aber in selteneren Fällen Fahr- und Vielseitigkeitspferde sich bei Siegerehrungen angeblich nicht mehr ohne Zwangsmittel vorstellen lassen, kann Beleg dafür sein, dass natürliche Bewegungsbedürfnisse des Pferdes nicht mehr ausreichend abgedeckt sind, die dann aber bei der Ehrenrunde im Herdenverband wieder wach werden; unter Musik – und Applausbegleitung wird gleichzeitig der Fluchtinstinkt mittrainiert. Bekäme jedes Dressur – und Springpferd regelmäßig Gelegenheit zu flotten Galopps unter dem Sattel oder auf der Weide, könnten vielleicht auch Dressurweltmeister und Springderbysieger wieder ungefährlicher ihre Ehrenrunden drehen. Vor allem bräuchten wir uns die unglaublich unsinnige Argumentation nicht mehr anzuhören, der Schlaufzügel auf dem Abreiteplatz oder bei der Siegerehrung diene der Sicherheit. Wenn wir Zwangsmittel einsetzen müssen, um Pferde in bestimmten, von uns gewollten Situationen gefügig zu halten, haben wir unsere reiterliche Bankrotterklärung abgegeben. Sie offenbart insbesondere ein geradezu perverses Verständnis von Dressur als Abrichtung des Pferdes für die Erfüllung bestimmter Aufgaben, ohne auf die eigentlichen Bedürfnisse des Pferdes Rücksicht nehmen zu müssen.
Das Pferd dokumentiert uns in seinem Verhalten, in seinem Gesundheitszustand und in seinen Befindlichkeiten unseren hippologischen Sachverstand. Die Tatsache, dass die überwiegende Mehrzahl aller Pferdeerkrankungen heutzutage ausgerechnet am Atmungs – und am Bewegungsapparat auftreten, belegt, dass wir meist nur bedingt die Lebensbedürfnisse eines Pferdes in unserer Haltung und Nutzung befriedigen können. Wir haben nun mal keine Steppe mehr vor der Haustür, aber das ist auch keine Ausrede dafür, die Anforderungen an Haltung, Bewegung und Ernährung auf Kosten der Gesundheit und des mentalen Wohlbefinden des Pferde zu ignorieren.
Die Qualität des Miteinander von Mensch und Pferd wird aber auch ganz wesentlich vom Herdenverhalten des Pferdes bestimmt und davon, wie der Mensch damit umgeht. Man könnte salopp sagen: das Pferd ist ein Gesellschaftstier und spätestens dann, wenn wir ein Pferd aus dem Herdenverband herausholen, müssen wir uns als Sozialpartner des Pferdes verstehen und uns auch entsprechend verhalten, natürlich als das dominierende, ranghöhere Lebewesen. Die über das Pferd zu erzielende Dominanz muss aber von Respekt und Vertrauen geprägt sein, nicht von Angst oder Unsicherheit. Indem sich das Pferd respekt – und vertrauensvoll unterordnet, gewinnt es an Ruhe und innerer Sicherheit, an der Hand wie unter dem Sattel. Die Leittierrolle zu übernehmen fällt vielen Menschen schwer, es erfordert Kenntnisse in den Verhaltensweisen des Pferdes und besonders viel Konsequenz. Grobiane, die sich mit einem Pferd anlegen, können es dauerhaft unbrauchbar machen, weil das Pferd im Kampfe schnell merkt, dass es ja doch der Stärkere ist. Pferde haben auch ein hervorragendes Erinnerungsvermögen. Ihre Misshandler vergessen sie ein Leben lang nicht. Umgekehrt: Welch eine Chance für uns, durch richtigen Umgang mit seinen Pferden lebenslange Vertrauensverhältnisse zu ihnen aufbauen zu können.
Falsch verstandene Pferdeliebe führt aber auch nicht zum Ziel, weil damit kaum Dominanz zu erzielen ist.
Nicht selten werden dem Pferd menschliche Denkmuster, Charakterhaltungen oder Verhaltensweisen unterstellt. Tanzt einem das Pferd mal wieder auf dem Kopf herum, wird schnell vermutet, das Pferd wolle einen ärgern oder „linken“. Schnell ein Leckerli, damit es aus Dankbarkeit seine Unarten einstellt. Nein, das Pferd hat keine Charakterzüge wie Hinterhältigkeit oder Korrumpierbarkeit, solche Schwächen sind der menschlichen Natur vorbehalten.
Wir dürfen das Pferd nicht vermenschlichen, wenn schon, dann müssen wir Menschen uns „verpferdlichen“. Uns wäre dann z. B. schnell klar, weshalb sich kein Pferd durch Reißen am Zügel vertrauensvoll unterordnen lässt, auch nicht beim Führen, selbst wenn man ihm eine Kette durchs Maul zieht. Oder haben Sie schon mal ein ranghöheres Pferd gesehen, dass dem rangniederen auf die Zunge beißt? Wir würden verstehen, weshalb Pferde als Fluchttiere immer unzuverlässiger und skeptischer springen, wenn man die Angst vor einem Sprung mit der Angst vor der Peitsche überwinden will. Wir wüssten Scheuen richtig einzuschätzen und dem durch mehr Ruhe, aber auch durch mehr Bestimmtheit (bedeutet vertrauensvolle Unterordnung) zu begegnen. Wir könnten innere Unruhe, äußere Merkmale der Unzufriedenheit schon im Ansatz erkennen und wir könnten es ermöglichen, dass es überhaupt keine sogenannten Korrekturpferde mehr gäbe. Das widersetzliche Pferd zeigt mir nur mein eigenes Unvermögen im Umgang oder beim Reiten auf. Es ist der Spiegel meiner Inkompetenz. Das schwierige Pferd wurde nicht als sogenannter Verbrecher geboren, es wurde vom Menschen dazu gemacht; oft nicht aus Bösartigkeit oder krimineller Energie, sondern aus Unkenntnis über sachgemäßen, naturgerechten Umgang mit dem Pferd.
Dies gilt für jegliche Ausbildung, vom Boden, vom Bock oder vom Sattel aus. Wir Pferdeausbilder haben es aber gar nicht so schwer uns über artgerechte Ausbildung zu informieren. Wir können, müssen aber nicht alle verfügbaren Bücher lesen oder uns teure Geheimtipps von Gurus erkaufen.
„Richtig reiten reicht“, so hat es mein hippologisches Vorbild und Vorgänger in meinem jetzigen Amt Paul Stecken trefflich auf den Punkt gebracht. Und wie richtig reiten geht, steht in unserer Reitlehre beschrieben, wir müssen uns nur daran halten. Unsere Reitlehre, basierend auf der Skala der Ausbildung, ist kein abstraktes theoretisches Konstrukt, sondern hat sich entwickelt aus Beobachtungen und Erkenntnissen von Pferdefachleuten zur Natur und zu den natürlichen Bewegungen des Pferdes. Nicht nur die Ausbildungsskala, sondern alle gymnastizierenden Übungen lassen sich in ihren Zielsetzungen logisch und nachvollziehbar mit den anatomischen Zusammenhängen erläutern. Sich ergebende Beanspruchungen sind pyhsiologisch erklärbar.
Takt ist u. a. deshalb 1. Punkt der Ausbildungsskala, weil sich ein gesundes, frei laufendes Pferd stets taktrein bewegt. Unter dem Reiter muss dem Pferd Gelegenheit gegeben werden, sich seinem natürlichen Verhalten entsprechend zu bewegen. Oder anders ausgedrückt: Wer sein Pferd nachhaltig aus dem Takt bringt oder im Takt stört, reitet gegen die Natur des Pferdes. Ähnlich die Begründung für die Losgelassenheit: Anspannung zeigt ein freies Pferd nur in Angst- und Fluchtsituationen, ggf. in Rangordnungskämpfen, zu denen das Pferd aber nur in kurzen Zeitspannen fähig ist. Nur in Losgelassenheit hält ein Pferd demnach längere Arbeit und Training ohne gesundheitliche und mentale Beeinträchtigungen aus. Nur ein vertrauensvoll sich unterordnendes Pferd kann losgelassen gehen, das zwangsweise Untergeordnete hat Angst und geht damit verspannt. Alle Indizien der Losgelassenheit (Kauen, schwingender Rücken, pendelnder Schweif, das Abschnauben, die Dehnungsbereitschaft) lassen sich mit natürlichen Körperfunktionen erklären. Gleiches gilt für die Kriterien der Anlehnung. Nimmt z. B. ein Pferd beim Zügel aufnehmen zu Beginn der Stunden den Kopf hoch, zeigt es als Fluchttier damit eine Angstsymptomatik, hier wahrscheinlich die Angst vor den Schmerzen, die eine riegelnde Reiterhand verursacht. Auch alle anderen Anlehnungsphänomene sind funktional begründbar. Angesichts der Rollkurthematik möchte ich noch auf die Bedeutung des Halses als Balancierstange verweisen. Zwangsweises Verbiegen oder Zusammenziehen des Halses ist unphysiologisch und entspricht in keinster Weise des Natur des Pferdes. In der Natur würde kein Pferd über längere Zeit solche absurden Halshaltungen einnehmen, da es sich dabei seiner eigenen Balancefähigkeit berauben würde. Was dieses auch mental bedeutet, kann sich jeder Mensch deutlich machen, wenn er selbst körperliche Arbeit in Zwangshaltungen ausführen müsste.
Zurück zur Ausbildungsskala: Warum brauchen wir Schwung und Schubkraft? Sie sind Voraussetzung dafür, dass dem Pferd das Tragen des Reitergewichtes im Rücken erleichtert wird. Geraderichtung bedeutet gleichmäßige Gymnastizierung beider Körperhälften, eine zwingende Voraussetzung nicht nur zur Gesunderhaltung. Den Begriff Versammlung kann man auch mit Balancierfähigkeit übersetzen. Das Steppen – ,Lauf – und Fluchttier Pferd benötigt aber extreme Versammlung in der Natur nur sehr selten und nur in sehr kurzen Zeitabschnitten, weshalb die Muskulatur für Versammlung zu Dauerbelastungen nicht geeignet ist. Übertriebenes Piaffieren, Passagieren oder Pirouettendrehen macht Pferde daher schnell in den Muskeln sauer; ihnen bleibt nichts anderes übrig, als bei Überforderung mit negativer Anspannung die geforderten exsaltierten Bewegungen auszuführen. Mit diesen Basiskenntnissen zu funktionaler Anatomie wird mir die Freude an manchen Kürprüfungen im Grand Prix – Bereich ziemlich genommen, in denen je nach Talent mache Pferde immer länger schweisstreibend auf der Stelle tanzen müssen. Nun ja: den trocknenden Schnellgalopp können sie bei Bedarf ja in der Ehrenrunde nachholen, quasi als Ersatzbefriedigung für entgangene Vorwärtsbewegung.
Provozierende Aussagen wie diese überzeichnen bewusst, sie sollen aber um so deutlicher machen, dass wir bei aller Euphorie für unseren Sport, bei allem Enthusiasmus für den Umgang mit dem Pferd stets unserer Verantwortung bewusst sind für die artgerechte Haltung eines Lebewesens, das wir zum Haustier gemacht haben, obwohl es noch Naturmerkmale eines Wildtieres in sich trägt.
Vielleicht können wir hierin auch eine große Chance für unsere weitere berufliche Tätigkeit sehen, indem wir unser ganzes Tun und Handeln stets mit den Anforderungen begründen, die uns die Natur des Pferdes stellt. Wenn wir dies unseren Kunden vermitteln, werden wir die Kundschaft auch zufrieden stellen, denn wohl jedem Pferdebesitzer liegt das Wohlbefinden seines eigenen Pferdes ganz besonders am Herzen, ein Wohlbefinden, das wir mit dem Eingehen auf die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes in besonderer Weise zu erreichen versuchen.
Martin Plewa
Warendorf, 15.11.2006